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Venuskuss

Venuskuss

Titel: Venuskuss
Autoren: Daria Charon
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Anmerkung: Bozena spricht sich Boschena, Betonung auf der ersten Silbe
     
     
    Bozena knabberte nervös an ihrem rechten Daumennagel. Was sie vorhatte, war verwerflich. Unmoralisch. Illegal. Und eindeutig ein Beweis, wie verzweifelt ihre gegenwärtige Lage war.
    Ihr Blick glitt über die Fotos an der Wand. Sie alle zeigten eine Person: Harald Keller, das Zugpferd der Agentur Kadlesky und international berühmtes Model. Versace und Co. prügelten sich darum, ihn in ihren Klamotten über den Laufsteg zu jagen. Jedes Hochglanzmagazin, das etwas auf sich hielt, ließ seine blauen Augen vom Cover strahlen.
    Bozena wäre barfuß über glühende Kohlen gelaufen, hätten diese Augen sie ein einziges Mal angesehen und nicht durch sie hindurch. Aber Putzfrauen sah man nie an. Man sah einen Kittel, Gummihandschuhe und Eimer mit Schmutzwasser. Meistens war Bozena das sogar recht. Sie erledigte ihren Job, unbeachtet, unbedankt und verschwand ebenso unauffällig, wie sie gekommen war.
    Wenn sie für gewöhnlich mit ihrer Arbeit anfing, hatten die Angestellten die Büroräume langst verlassen. Nur bei Kadlesky war es anders. Die Agenturchefin Nina Kadlesky fuhr vierundzwanzig Stunden Schichten, ihr ganzes Leben verbrachte sie in ihrem kühl gestylten Chrom-Glas-Leder-Bunker. Bozena hörte sie telefonieren – in Sprachen, die sie nicht verstand – und erlebte, wie sie ihre Models zu Meetings orderte, ohne Rücksicht auf die Uhrzeit zu nehmen.
    Bei dieser Gelegenheit hatte sie Harald Keller auch das erste Mal leibhaftig vor sich stehen sehen. Auf den Fotos an den Wänden war er ihr in seiner Perfektion immer künstlich erschienen – eine Figur, ein Objekt, kein Mensch aus Fleisch und Blut.
    Aber sich unvermutet seinen makellosen Einsfünfundachtzig gegenüberzufinden, die in engen Jeans und einem verwaschenen T-Shirt steckten, hatte alle ihre Sicherungen innerhalb einer Zehntelsekunde durchknallen lassen. Sie wollte diesen Mann. Wenigstens einmal. Für eine Nacht. Eine einzige schillernde Erinnerung, wenn man sie am Ende ihrer Tage im Altersheim durch die langen Flure karrte.
    Natürlich war ihr Wunsch so realistisch wie Glatteis im Juli. Zwar hatte er keine feste Freundin, aber er konnte unter den schönsten Frauen des Planeten in den schönsten Kleidchen des Jahrhunderts wählen. Er litt keinen sexuellen Notstand, der ihn die Arme einer achtundzwanzigjährigen Putzfrau mit zu kurzen Beinen und zu langer Nase treiben würde. Und die heißen Blicke, die sie ihm in der Agentur zuwarf, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, bemerkte er natürlich nicht. Ihre Fantasien blieben das Einzige, an dem sie sich in langen einsamen Nächten wärmen konnte.
    Dann starb ihre Großtante und plötzlich rückte ihr Wunsch in greifbare Nähe. Tante Gruscha galt bei der Familie als mittelschwer verrückt. Sie behauptete, den zweiten Blick zu besitzen und hielt sich für eine Hexe. Ihre letzten Jahre verbrachte sie in der geschlossenen Anstalt. Nach ihrem Tod teilte der Anstaltsleiter mit, dass sie ihre gesamten persönlichen Habe ihrer Großnichte Bozena vermacht habe.
    Das Erbe bestand zu Bozenas Enttäuschung aus einem schmuddeligen Koffer mit noch schmuddeligeren Kleidern und zerlesenen Konsalik-Büchern. Sie war schon dabei, den Koffer zum Sperrmüll zu bringen, als sie in einem verblichenen Spitzentaschentuch einen Ring entdeckte. Sein massiver Reif war mit Runen bedeckt und der große, eckig geschliffene Stein schimmerte in irisierenden Farben. Ein schmaler, mit Kurrentzeilen bedeckter Zettel lag daneben. Sie brauchte einige Anläufe, bis sie die Schrift entziffern konnte. „ Oriatus, das Band der Sklaven. Du, der du dieses magische Band dein eigen nennst, handle mit Bedacht. Denn jeder, dem du den Ring ansteckst, gehorcht deinem Wort für die Zeit als das Band an seinem Finger bleibt. Entfernst du es jedoch, ist das Gedächtnis deines Sklaven rein von aller Erinnerung. “
    Gleich am nächsten Tag probierte Bozena den Ring an einer nichtsahnenden Kollegin aus und ließ sie die ursprünglich ihr zugeteilte Arbeit verrichten. Es funktionierte tatsächlich und nachdem Bozena ihr den Ring wieder abgenommen hatte, konnte sich die Frau an nichts mehr erinnern.
    In weiterer Folge versuchte Bozena krampfhaft moralische Skrupel zu entwickeln, was ihren Plan betraf und scheiterte damit kläglich. Eine Weile schlich sie um das Telefon herum, aber dann fasste sie sich ein Herz. Sie rief Harald Keller mit verstellter Stimme an, gab vor Nina Kadlesky zu
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