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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd
Autoren: Susanne Betz
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Frau, schnellstens vor den Preußen zu fliehen.
    Die nächsten Tage vergingen wie in einem
Fiebertraum, schwerelos und gleichgültig gegenüber der Zeit. Caroline
streifte schon am frühen Morgen durch den Park, schnitt Körbe voller
Flieder und brachte die Zimmer zum Duften. Sie, die beiden Hofdamen und
auch Friederike zogen ihre schönsten Kleider an, deren Seidenröcke
rauschten, wenn sie über die Flure liefen. Die Zofen mussten ihnen
täglich die Haare brennen und zu gewagten Frisuren aufstecken, die auch
noch mit Blüten und Federn verziert wurden. Friederike betrieb keine
Studien mehr, sezierte auch kein Stück Vieh, sondern lag unter
blühenden Apfelbäumen, während von den Zweigen Sonne auf sie
heruntertropfte. Sie dachte an die knisternden, von Nebeln durchzogenen
Wälder Französisch-Amerikas, wo der große Krieg schon länger tobte und
Huronen auf der Seite der Franzosen gegen die Engländer kämpften. Von
dort aus segelten ihre Träume über den Atlantik in die wärmeren
Gewässer des Pazifiks. Sie ruhte sich an einem elfenbeinfarbenen Strand
neben Herrn Crusoe aus, der lauthals über das Gestänge ihres Reifrocks
lachte, den sie seltsamerweise als einziges Kleidungsstück trug.
    Auch nach dem Abendessen zog sich die Markgräfin nicht mehr
mit ihren Abrechnungen oder Büchern zurück, sondern spielte mit ihren
Damen Rätselraten und Verstecken, wobei sie die Umtriebigste war und
eine Flasche Wein nach der anderen öffnen ließ. Sie schlidderten auf
ihren Pantoffeln über das Parkett, warfen Kissen gegen Kristalllüster
und kicherten über die kleinste Kleinigkeit. Caroline schlug vor, ein
Schauspiel einzustudieren. Es sollte gleich, ja sofort geschehen. Man
wollte keine Minute Zeit verlieren. Das Freifräulein kletterte auf
einen Stuhl, um ein Buch mit den Stücken Molieres ganz oben aus dem
Regal zu ziehen. Dabei geriet sie ins Taumeln und stürzte halb
unfreiwillig, halb gespielt in die Arme von Frau von Beust. Wieder
schüttelten sich alle vor Lachen. Der verdutzte Kersmackers und der
Hofmeister wurden gerufen und bekamen auf der Stelle Rollen zugeteilt.
Dass der Markgraf mit dem Erbprinzen und dem gesamten Staatsarchiv in
die Nähe von Würzburg geflohen war, nahmen sie kaum zur Kenntnis. Sie
waren fest entschlossen, ihre Angst wie eine griesgrämige Tante zu
behandeln und sie einfach zu ignorieren.
    Kersmackers dagegen roch jetzt fast
stündlich die Luft. Sie schmeckte weich nach Frühling, aber seiner
Einschätzung nach auch schon etwas nach Tod. Ganz davon abgesehen,
konnte er sich keinen Reim mehr auf seine Markgräfin machen. Statt
Vorkehrungen zu treffen, setzte sie der drohenden Gefahr nur Narreteien
entgegen. So kannte er sie weiß Gott nicht. Aber so waren sie eben
doch, die Frauen. Er spuckte einen Rest Kautabak auf den Boden. Er
würde sie natürlich nie allein lassen, das verstand sich von selbst.
Für eine Flucht, das musste er zugeben, war es ohnehin zu spät.
    Täglich zogen mehr armselige Gestalten, deren Dörfer
geplündert und dann abgebrannt worden waren, durch Schwaningen Richtung
Westen. Einmal, als der kleine Hofstaat um Friederike geschart auf der
Insel am Ende des Kanals Tee trank, glaubte Caroline, in der Ferne
Kanonendonner zu hören. Der semmelfarbene Hund fing an zu zittern, und
sein Fell sträubte sich. Friederike kippte den Rest Tee in ihrer Tasse
in den Kanal und ließ stattdessen wieder Wein ausschenken. Während sie
sich zuprosteten, konnte jeder die Furcht in den Augen des anderen
schwimmen sehen.
    Sie kamen in der letzten Stunde vor
Sonnenaufgang. Friederike hatte ohnehin nicht mehr schlafen können.
Hinter dem Vorhang verborgen, lehnte sie am geöffneten Fenster und
machte die Blauröcke im rosa Dunst des anbrechenden Tages aus. Ein
Spähtrupp offensichtlich. Ein Offizier und zwei einfache Fußsoldaten
schlichen geduckt, ihre Bajonette schon aufgesteckt, die Vorderfassade
des Schlosses entlang. Friederike hätte preußische Soldaten auch in
einer rabenschwarzen Nacht erkannt. Ihre Stiefel knirschten anders.
Vielleicht konnte sie sie sogar riechen. Als Kind hatte sie diesen
Uniformen zugewinkt, wenn sie ebenso wie die Brüder den Vater auf
Truppenschauen begleiten musste. Sie war jetzt auf alles gefasst. Dass
man sie als Geisel nehmen, das Schloss anzünden oder sogar sie und ihre
Damen schänden würde. Denn der Bruder, so erkannte sie in diesem
Moment, der sich anmaßte, sie für verrückt zu erklären, weil sie als
Frau ein Anatomisches Theater besucht hatte,
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