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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd
Autoren: Susanne Betz
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und
wahrscheinlich sogar schädlich sein. Was mir von Gleichen erzählt hat,
dass nämlich in Paris über eine neue Ordnung der Gesellschaft
nachgedacht wird, ist ein großer Fortschritt. Endlich ziehen
Philosophen, Wissenschaftler und Mediziner an einem Strang. Die
Gleichheit im Inneren muss sich in der Welt und in ihren Gesetzen
widerspiegeln, nur dann macht meine Arbeit und die aller Forscher
überhaupt Sinn. Nur dann wird wahrscheinlich auch der göttliche Plan
erfüllt.
    Friederike fixierte für einen kurzen Moment Kersmackers.
Seinen runden Kopf mit den inzwischen spärlich gewordenen rotblonden
Haaren, die blauen Augen unter den farblosen Brauen, das fleischige,
aber keinesfalls weiche Gesicht, in dem sich Verschlossenheit und
Wachheit trafen. Er war von Geburt an intelligenter als viele der
Höflinge, die sie in Berlin, Ansbach oder Bayreuth kennengelernt hatte.
Warum hatte man ihn nicht zum Geheimen Ratspräsidenten des Markgrafen
berufen? Vieles wäre dann wahrscheinlich besser gelaufen mit Ansbach.
Warum herrschte der Meisterfalkner nicht über Preußen oder Frankreich?
Friederike fing an zu lachen und lachte und lachte, bis Kersmackers
ganz nervös wurde.
    Ich habe das damals schon irgendwie geahnt, aber nicht zu
denken gewagt, sagte sie sich. Damals, als ich das rote Blut aus den
Adern des Huronen fließen sah, das sich in nichts von meinem Blut
unterschied. Friederike sah sich plötzlich wieder als junges Mädchen im
schäbigen Hinterzimmer eines Berliner Gasthofes stehen, vor sich den
zimtfarbenen Oberkörper eines Wilden. Vielleicht hätte er mich damals
küssen wollen? Warum habe ich ihn nicht geküsst? Welche gefährliche
Wendung nahmen ihre Gedanken jetzt schon wieder! Was war mit ihr los
heute Nacht?
    Noch einmal löste sie das Herz des Offiziers aus seiner Höhle
heraus, legte es sich auf die flache rechte Hand und betrachtete es.
Nein, sie brauchte es nicht aufzuschneiden. Sie hatte sein Geheimnis
schon gelöst. Das Geheimnis, das der Schlüssel zu Freiheit und
Gleichheit war und, da war sich Friederike sicher, bald alle Menschen
erfahren würden. Fast zärtlich legte sie das Herz des Offiziers an
seinen Platz zurück.
    Bis zum Anbruch des Morgens nähte
Kersmackers den preußischen Offizier sorgsam wieder zu, dann wurde er
zusammen mit seinem Gewehr auf dem Schwaninger Friedhof begraben.
    Merkwürdigerweise machte der Krieg einen Bogen um Schwaningen.
Keine preußische Uniform tauchte mehr auf. Nürnberg, so hörte sie,
hatte sich Friedrich unterworfen, was den Markgrafen maßlos erzürnte.
Vom sicheren Würzburg aus, unter dem Schutz des kaisertreuen
Fürstbischofs, befahl er, dass die Ansbacher Truppen sich mit denen des
gesamten Fränkischen Kreises vereinen sollten. Jedes Dorf, das den
Preußen half, sollte niedergebrannt werden. Am 4. Juni 1757 kam es zu
einer erbitterten Schlacht. Die Preußen plünderten und brandschatzten
weiter, zogen sich dann aber allmählich zurück.
    Zehn Tage später kehrte der Markgraf nach
Ansbach zurück und schickte sofort herzliche Grüße an seine Gemahlin in
Schwaningen. Er hoffe, sie sei wohlauf. Der große Krieg zwischen
Österreich, Preußen, Frankreich und England werde sich, so prophezeite
er ihr, noch lange hinziehen. Ihm und seinem schönen, friedlichen
Ansbach wäre aber schon jetzt die Freude am Leben genommen. Er hätte
keine Kraft mehr und schon gar keine Lust.
    Friederikes Finger spielten gedankenverloren
mit dem prächtigen markgräflichen Wappen. Sie hatte gerade mit Caroline
und ihrem Spaniel im Park spazieren gehen wollen, als der Bote aus
Ansbach geritten kam. Wie schon seit Beginn des Krieges spannte sich
ein ungetrübt blauer Himmel über Schwaningen. Das sanfte Rauschen in
den Bäumen hörte sich an, als ob die Welt dieselbe geblieben wäre. Aber
es gab sie, die Gräben voller abgemetzelter junger Soldaten. Die
abgebrannten Dörfer, in denen vergewaltigte Frauen und hungernde Kinder
sprachlos hockten. Über sie strich jetzt ein heißer Sommerwind, und das
Getreide stand erstaunlich voll und reif auf den Feldern. Der Natur, so
schlussfolgerte Friederike, sind wir völlig egal. Dem wahren Gott,
nicht dem, den sich die Könige und Pfarrer ausgedacht haben,
wahrscheinlich ebenso. Die Sonne bescheint auch noch das grausamste
Blutvergießen. Vielleicht bleibt uns nichts anderes übrig, als uns
selbst um die Welt zu kümmern.
    Nach einer Weile faltete sie den Brief klein zusammen und ging
weiter, ihr Spaniel rannte ausgelassen vorneweg.
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