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Lesereise Kanarische Inseln

Lesereise Kanarische Inseln

Titel: Lesereise Kanarische Inseln
Autoren: Claudia Diemar
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María duldet keinen Widerspruch
Nach der Landung geht’s zum Kostümball – da gibt es kein Pardon!
    Ich habe fast den ganzen Flug verschlafen. Als ich aufwache, ist die Maschine schon über der Landebahn. Ich ziehe das Tuch weg, das ich mir über die Augen gelegt habe, nehme die Wachskügelchen aus den Ohren. Der Flieger setzt auf und rollt aus.
    Der Typ von der Autovermietung ist bester Laune. »Bienvenido al Carnaval«, meint er und gibt mir einen nagelneuen Wagen. Als ich den Flughafen verlasse, sticht mir die Sonne ins Gesicht. Der Himmel leuchtet in blankem Azur. Ich angle nach der Sonnenbrille und fädle mich auf der Autobahn Richtung Süden ein.
    Die Strecke führt durch sterbenslangweilige Ödnis: wüstengelber Sand, Steinbrocken, staubbedecktes Krüppelgehölz. Möbelhäuser, Großwäschereien, Discount-Supermärkte entlang der Piste. Alles, was man braucht, um die Urlauberinsel in Gang zu halten. Dann kommen die Touristenzentren, inzwischen schon kilometerweit von der Küste entfernt. Nach Puerto Rico, dessen Hotels sich bereits bis auf die Bergflanke hinaufgeschoben haben, wird die Straße kurvig, schneidet als gewaltsam frei gesprengte Trasse durch Wände von ockergelbem Tuffstein. Dann die letzte Kurve, Endspurt auf dem
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schnurgeraden, gleichmäßig abfallenden Asphaltband, dem Ozean entgegen. Motor aus, Handbremse anziehen, und los geht der Urlaub.
    Juán kommt mir auf den Stufen zum hostal mit dem Werkzeugkasten entgegen und begrüßt mich. »Wieder der Wasserkasten im Untergeschoss?«, frage ich ihn. »Sí«, bestätigt er und verdreht die Augen dabei. Ich höre María auf dem Dach wie ein Schnellfeuergewehr reden. Dann kommt sie mit einer Gruppe Schweizer Rucksacktouristen herunter, denen sie gerade die Dachterrasse als Schlafplatz vermietet hat.
    Ich denke, dass María nun endgültig jedes Maß für das Machbare verliert. Für ihre elf Zimmer, von denen fünf nicht einmal über ein Fenster, sondern lediglich über Lüftungsschlitze in den Türen verfügen, hat sie ganze zwei Bäder anzubieten. Bei guter Belegung sind somit mindestens zwanzig Leute damit beschäftigt, ständig auf ein freies Bad zu lauern oder über Treppen und Terrassen zu rennen, weil die aus dem Untergeschoss nachsehen gehen, ob vielleicht das obere baño frei wäre oder umgekehrt.
    Über all dem wacht Juán, der an der Balustrade des an höchster Stelle gelegenen Balkons der Privatwohnung lehnt und dünne kanarische Zigarren raucht. Juán steht morgens auf, zündet den ersten puro an, stützt die Arme auf die Brüstung und verharrt am liebsten in dieser Position, bis die Nacht fällt. Ab und zu brennt er den ausgegangenen Stumpen wieder an, betrachtet gelassen den Trubel auf der Terrasse und nickt huldvoll, wenn ihm jemand einen Gruß hinaufruft. Wenn man etwas
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von ihm will, antwortet er mit einem bedächtig gedehnten: »Sí!« Manchmal sagt er auch: »Sí, claro!«
    »Heute ist Carnaval«, schreit María, als sie mich erspäht hat, und reißt mich in die Arme. Es folgt ein Wortschwall, dessen konturenloses Kanaren-Spanisch den Buchstaben S an den Wortenden einspart, dadurch die Sprechgeschwindigkeit erheblich steigert und die Vokale in singende Überzahl bringt.
    María stürzt davon, um in der Küche eine Flasche tinto zu holen. Sie hat stets eine Flasche im Gästeeisschrank stehen. Ich höre sie rumoren und unter Flüchen irgendwelches Zeug auf die meterlange marmorne Arbeitsplatte knallen.
    Dann kommt sie mit Wein, Zettel und dickem Filzer angefegt und gibt mir Order, eine in deutscher Sprache gehaltene Anweisung zu verfassen. Alle Gäste hätten noch verwertbare Vorräte bis zum Abend in die jeweils vorgesehenen Etagen des Gemeinschaftskühlschranks ordentlich und übersichtlich (dreimal unterstrichen) einzuräumen. Den Rest werde sie höchstpersönlich wegschmeißen.
    Endlich füllt María die Gläser und stößt mit mir an. »Salud! Du wirst mit mir heute zum Carnaval gehen. Juán macht sich doch nichts daraus, du weißt ja. Den bringt man nicht von seinem Balkon herunter. Aber wir beide werden zusammen feiern und es krachen lassen.«
    Ich muss lachen, deute auf meine Klamotten: »Womit denn?«
    »Ich habe fünf Kostüme. Fünf!«, wiederholt María. »Alle von einer Schneiderin in Las Palmas. Eines für den großen Umzug dort, eines für die Feste
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in Arguineguín, eines für Venegueras, eines für den hiesigen Dorfkarneval und das letzte für San Nicolás. Du kriegst das Kostüm, das eigentlich für
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