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Exil

Exil

Titel: Exil
Autoren: Jakob Ejersbo
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Tasche einen so heftigen Tritt versetzt, dass sie gegen die Wand fliegt. Den Riemen halte ich noch in der Hand.
    »Idiot!«, rufe ich und wirbele die Tasche herum. Svein springt zur Seite, ich verfehle ihn, doch dann schwinge ich die Tasche noch einmal über dem Kopf und knalle sie Svein in den Nacken.
    »Samantha!«, ertönt Mr. Thompsons Stimme – der stellvertretende Schulleiter. Alle bleiben stehen. Ich drehe mich um und sehe ihn an. »Ins Büro!«, befiehlt Thompson mit einer Kopfbewegung. »Du auch, Svein!« Svein protestiert. Ich zucke die Achseln, gehe zum Büro. Die Tasche schleppe ich über den Betonboden hinter mir her.
    Silberkreuz
    Beim Lauftraining der Fußballmannschaft habe ich mich in Stefano verliebt. Mit ein paar Mädchen wartete ich auf die Rückkehr der Läufer vom Zehnkilometerlauf. Ich und meine Zimmerkameradinnen: Tazim, eine lebhafte und nette Goa, und die Norwegerin Truddi, die mit ihrer Freundin Diana gekommen ist. Diana ist die Tochter eines korrupten Parlamentsmitglieds, dem die Leute den Spitznamen Mr. Zehn Prozent gegeben haben.
    Der Italiener Stefano taucht als Erster auf der gegenüberliegenden Seite der vierhundert Meter langen Aschenbahn auf, die um den Fußballplatz verläuft. Jetzt muss er nur noch ins Ziel. Wir feuern ihn an. Baltazar läuft direkt hinter ihm. Baltazar ist groß und kohlrabenschwarz, der Sohn des angolanischen Handelsattachés. Stefano ist klein und kräftig, er läuft mit freiem Oberkörper … nein, er hat sein T-Shirt hochgeschoben und hinter den Kopf gezogen; es bedeckt seinen Nacken, damit er sich keinen Sonnenbrand holt. Ich sehe, wie seine Brust- und Bauchmuskulatur bebt, kein Gramm Fett an ihm. Der Oberkörper glänzt vor Schweiß. Er schaut sich um und lässt Baltazar näher kommen, hält aber ein paar Meter Abstand. Stefano läuft als Erster durchs Ziel, mit erhobenen Armen. Ich sehe deutlich das dunkle Haar in seinen Achselhöhlen. Das Kreuz an der Silberkette um seinen Hals ist auf der Brust festgetapt, damit es beim Laufen nicht herumhüpft.
    »Mann, er ist einfach zum Anbeißen«, sagt Truddi neben mir. Stefano läuft auf uns zu.
    »Hallo, Samantha!«
    »Hallo.« Er greift nach meiner Hand, führt sie an seine Brust.
    »Kannst du mir das Tape abreißen?«, fragt er.
    »Klar«, sage ich und fasse vorsichtig an eine Ecke, spüre seine erhitzte Haut, reiße.
    »Danke«, sagt Stefano.
    »Wieso nimmst du die Kette nicht einfach ab, wenn du läufst?«
    »Meine Mutter hat sie mir bei meiner Geburt umgehängt«, antwortet er. Und ich finde es einfach toll.
    Am Abend geben wir uns hinter den Pferdeställen einen Zungenkuss.
    Sistah, sistah
    »Bist du wieder gesund?«, frage ich Christian, als ich ihn Freitag treffe. Er sieht ein bisschen blass aus.
    »Wieso gesund? Ich war doch gar nicht krank.«
    »Und was war diese Woche?«
    »Ach, alles Mögliche … Chaos. Wir sind nach Moshi gezogen. Ich habe jetzt ein Motorrad.«
    »Okay, dann kannst du mich ja mal mitnehmen. Und ich komm auch gern am Wochenende vorbei, wenn du was Ordentliches zu essen hast.«
    »Natürlich«, sagt er und erklärt mir, wo er jetzt wohnt. Direkt an der Straße von der Schule in die Stadt.
    Am Samstag gehe ich mit Tazim ins Stadtzentrum. Sie will zum Moshi Book Shop, um Briefpapier zu kaufen. Hinterher laufen wir durch die Kibo Arcade zu Zukar’s und kaufen samosas und mandazi: eine Art Doughnut, ein Stück Teig, der in Öl gesotten und in Zucker gewendet wird. Und tansanischen Tee mit Milch und Zucker. Die anderen weißen Mädchen kommen nicht hierher: »Wir kriegen bloß Magenschmerzen, weil alles so dreckig ist«, behaupten sie.
    Wir vergessen die Zeit und verpassen den Pick-up zurück zur Schule. Da wir kein Geld fürs Taxi haben, müssen wir laufen.
    »Wir könnten Christian besuchen und ihn bitten, uns nach Hause zu fahren«, schlage ich vor.
    »Ja, okay.« Tazim seufzt. Wir gehen zum Arusha-Kreisel. In der Nähe stehen ein paar ziemlich große Burschen, Anfang zwanzig und schwarz, insgesamt fünf. Sie haben uns längst gesehen.
    »Können wir keinen anderen Weg gehen?«, fragt Tazim.
    »Wir müssen hier lang.«
    »Aber …«
    »Die tun dir nichts.«
    »Bist du sicher?« Tazims Vater ist Geschäftsmann in Mwanza, transportiert Güter über den Victoriasee nach Uganda. Sie ist in Tansania geboren, aber es gibt kaum Kontakte zwischen Indern und Schwarzen.
    Wir nähern uns den Burschen. Sie fangen sofort an.
    »Sistah, sistah.« Als wir an ihnen vorbei sind, folgen sie uns. Tazim
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