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Exil

Exil

Titel: Exil
Autoren: Jakob Ejersbo
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Frühstücken.
    »Wie geht’s dir, Samantha?«, erkundigt sich Shakila, die den Speisesaal bereits verlässt. Sie ist die Tochter eines Professors, der eine Privatklinik in Dar betreibt. Shakila ist zwei Klassen über mir; sie war meine Vertrauensschülerin, als ich nach der vierten Klasse aufs Internat geschickt wurde. Den neuen Schülern wird ein älterer Schüler zugeteilt; er soll sie einweisen und ihnen zeigen, wie man sein Bett macht, aufräumt und die Hausaufgaben erledigt. Obwohl es vier Jahre her ist, dass Shakila meine Vertrauensschülerin war, erkundigt sie sich noch immer hin und wieder, wie es mir geht.
    »Gut. Und dir?«
    »Auch gut«, erwidert sie. Wieso fragt sie? Weil Alison abgereist ist. Ich bin jetzt allein auf der Schule. Zum ersten Mal habe ich weder meine Eltern noch Alison in meiner Nähe. Der Speisesaal ist halb leer; die größeren Jungen im Kijoto und die Mädchen in Kilele und Kipepeo haben ihre eigenen Küchen fürs Frühstück, und die ältesten Jungen aus dem Kijani-Haus und die aus Kishari essen in der Schule.
    Ich entdecke Panos, der zusammen mit Tazim, Truddi und meiner Zimmerkameradin Gretchen an einem Tisch sitzt. Wir alle fangen heute in der achten Klasse an. Panos schlingt Brot hinunter und gießt ein Glas Saft hinterher – ein Mulatte, dessen griechischer Vater eine Tabakfarm bei Iringa betreibt. Aus den Augenwinkeln sehe ich Jarno, einen Finnen, der mich hinter den bleichen Dreadlocks, die er sich wachsen lässt, mit pissgelben Augen anstarrt.
    »Bist du okay, Samantha?«, will Tazim wissen.
    »Natürlich ist sie okay«, sagt Panos. »Du siehst doch, sie isst.«
    Panos kenne ich seit sieben Jahren, seit ich 1976 auf der Schule in Arusha angefangen habe. Panos ist bärenstark, rund wie eine Tonne und hasst Bücher. Um sieben Uhr fünfundvierzig müssen wir den Speisesaal verlassen haben, die erste Stunde beginnt um acht.
    »Zigarette?«, fragt Panos, ohne mich anzusehen, während er aufsteht und prüfend den Raum überblickt.
    »Klar«, murmele ich mit vollem Mund.
    »Bei Owen«, sagt er und geht. Owen ist der Rektor, dessen Wohnhaus schräg hinter dem Speisesaal liegt. Es war Panos’ Idee, direkt hinter seinem Haus zu rauchen, dort vermutet niemand eine Regelverletzung. Owen ist bereits im Büro und seine Frau im Lehrerzimmer. Ich laufe Panos zwischen den Bäumen nach und blicke dabei auf den Kilimandscharo. Die Schneekappe auf dem Gipfel Kibos ist noch immer deutlich zu sehen; erst am Vormittag, wenn die Sonne in den Regenwäldern unterhalb des Gipfels das Wasser verdampfen lässt, wird der Berg von Wolken verhüllt sein. Ich bin nie dort oben gewesen, obwohl man ihn mit der Schule besteigen kann – mich interessiert es nicht. Aber Panos ist oben gewesen, obwohl er sich bis Gilman’s Point ein paar Mal übergeben musste und die Umrundung des Kraterrands bis zum höchsten Punkt, Uhuru Peak, nicht geschafft hat. Bevor der erste Weiße den Berg bestieg, glaubten die Afrikaner, die weiße Krone bestünde aus Silber.
    Panos ist an den dichten Büschen hinter Owens Haus stehengeblieben.
    »Bist du okay?«, fragt er.
    »Ich habe keine Lust mehr, hier zu sein.«
    »Was du nicht sagst.« Wir zünden die Zigarette an, rauchen so hastig, dass uns schwindlig wird, teilen uns ein Big G-Kaugummi, um den Geruch zu vertreiben, und schlendern zu den Klassenräumen; fünf vor acht. Alles ist überschwemmt von irgendwelchen Gören – Tagesschülern. ISM heißt die Schule: International School of Moshi. Zwölf Klassen kann man hier besuchen, dann ist man reif für die Universität.
    Die Tagesschüler wissen nichts vom Leben. Jeden Nachmittag kehren sie nach Hause zurück, um sich von Mami und Papi den Hintern abwischen zu lassen. Die meisten Internatsschüler sind Weiße – Kinder von Diplomaten, Leuten, die in der Entwicklungshilfe arbeiten, oder Familien, die Landwirtschaft oder etwas Touristisches in Tansania betreiben. Es gibt aber auch schwarze Internatsschüler, Söhne und Töchter von korrupten Geschäftsleuten oder Politikern. Und unter den Tagesschülern finden sich jede Menge Inder. Die Schule hat irgendwann als christliche Schule angefangen, als einige weiße Christen das große Krankenhaus KCMC bauten, das Kilimanjaro Christian Medical Center; angeblich das beste Krankenhaus des Landes. Es unterrichten noch immer sehr viele gläubige Lehrer, aber die Schule besuchen auch eine Menge Hindus, Sikhs und Muslime. Zumindest müssen wir keine Uniformen tragen wie auf der Schule in
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