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Exil

Exil

Titel: Exil
Autoren: Jakob Ejersbo
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Arusha.
    Die erste Stunde beginnt. Ein weiterer vergeudeter Tag in meinem Leben.
    International Mick
    Am ersten Tag herrscht in den Pausen ein großes Durcheinander, alle begrüßen sich. Ich suche Panos’ Freund Christian, aber er ist nicht zur Schule gekommen. Christian wohnt auf der Zuckerplantage TPC südlich von Moshi. Vor knapp einem Jahr starb seine kleine Schwester bei einem Autounfall, vielleicht ist die Familie nach Europa zurückgekehrt? Hinterher ging er mit Shakila, aber das hat nicht funktioniert, außerdem wurde er für eine Woche suspendiert, weil er ständig und überall Zigaretten geraucht hat.
    Savio kommt in der großen Pause auf mich zu und erkundigt sich nach Mick. Mir wird ganz heiß, als ich Micks Namen höre. Savio ist kräftig gebaut, Goa und Katholik aus Arusha.
    »Er kommt bald, er muss zur Nachprüfung.«
    »Bist du das, Mick?« Savio schaut mir über die Schulter, ich drehe mich um. Tatsächlich kommt Mick den Gang entlang.
    »Savio, Mann!«, ruft er. »Samantha!«
    »Meine Fresse, bist du dünn geworden«, erwidert Savio und klatscht ihn mit fünf Fingern ab. Er stellt sich neben Mick und zieht sein T-Shirt hoch. Mick ebenfalls. Savio hat einen Bauch, Mick ist abgemagert. Wir grinsen. Shakila kommt und umarmt Mick. Bevor er krank wurde, sind die beiden letztes Jahr zusammen gegangen.
    »Du bist zurück«, lächelt Shakila. Ein Stück entfernt steht Tazim mit einem betrübten Gesichtsausdruck – sie hat Mick mal geküsst, aber es wurde nichts daraus.
    »Ich bin nicht zurück«, sagt Mick. Ich schlucke.
    »Was ist denn los?«, will Savio wissen.
    »Die wollen für mich keine Nachprüfung im November organisieren. Stattdessen soll ich die zehnte Klasse wiederholen«, erklärt Mick.
    »Arschlöcher«, sagt Savio.
    »Und was willst du machen?«, frage ich ihn.
    »Ich bin derjenige, der geht.«
    »Wohin?« Die Frage kommt von Savio.
    »Deutschland.«
    »Was willst du denn da?«
    »Ich kenne einen Deutschen, der sich auf der Technischen Hochschule in Köln einschreibt, und dann werde ich mit den Examenspapieren meines Kumpels dort auftauchen.«
    »Cool«, meint Savio.
    »Und wovon willst du leben?«
    »Ich hab von meiner österreichischen Großmutter ein bisschen was geerbt, außerdem kann ich Gebrauchtwagen aufkaufen, reparieren und mit Profit wieder verscheuern.« Mick hat Motorräder zerlegt und repariert, bevor er auf ihnen fahren konnte. Und zwar auf die afrikanische Art – nur mit vorhandenem Material.
    »Sprichst du denn deutsch?«
    »Es reicht ein deutscher Pass«, grinst Mick. »Außerdem kann ich zwei Bier bestellen.« Aziz kommt dazu, ein schleimiger Inder aus Micks und Savios Klasse. »Hast du Arusha- bhangi dabei?«, flüstert Aziz Mick zu. Aziz raucht viel zu viel von dem Kraut.
    »Nein«, sagt Mick.
    »Sei ein Kumpel, Mick. Ich weiß, dass du was hast«, quengelt Aziz, der ständig mit irgendetwas zu handeln versucht.
    »Verpiss dich«, erwidert Mick. Ich wünschte, er würde mich küssen.
    Scheißding
    Stunde um Stunde vergeht. Dann schleppe ich endlich meine Tasche am Riemen hinter mir her; den Betonflur entlang, der unter einem Vordach vor den Klassenräumen verläuft, damit wir während der Regenzeit nicht im Schlamm waten.
    »Samantha«, sagt Mr. Harrison hinter mir. Ich bleibe stehen. Stehe still, ohne mich umzudrehen. Antworte nicht. »Geh ordentlich mit deiner Tasche.« Langsam drehe ich mich um.
    »Wie geht man denn ordentlich?«
    »Heb sie hoch«, sagt Mr. Harrison.
    »Das bestimme immer noch ich. Das ist meine Tasche.«
    »Aber es sind die Bücher der Schule.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Willst du gern mit ins Büro?« Ich zucke die Achseln. Was soll ich machen? Das Gesicht verlieren? Ich bleibe stehen und drehe mich wieder um. Ein Haufen Schüler beobachtet uns. Dann zeigt sich ein Lächeln auf Harrisons Lippen. Er geht auf mich zu, nimmt mir den Riemen aus der Hand und legt ihn mir über den Kopf, greift nach meinem Arm und hebt ihn an, bis er auf der Tasche liegt, die nun an dem Schulterriemen zwischen meinen Titten hängt.
    »So«, sagt Harrison und klopft mir auf die Schulter, bevor er ins Lehrerzimmer geht, ohne sich umzudrehen. Ich bleibe einen Moment stehen. Dann ziehe ich mir den Riemen über den Kopf und stelle die Tasche wieder auf den Betonboden.
    »Samantha«, sagt Gretchen und schüttelt den Kopf.
    »Willst du das Scheißding etwa tragen?«, frage ich sie und schleife die Tasche weiter hinter mir her. Plötzlich spüre ich einen Ruck – Svein hat der
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