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Exil

Exil

Titel: Exil
Autoren: Jakob Ejersbo
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Blaues Silber
    Wenn ich mich mit den Schwimmflossen über den Sandboden bewege, sieht die Wasseroberfläche anderthalb Meter über mir aus wie lebendiges blaues Silber. Ich drehe mich auf den Rücken und betrachte durch meine Taucherbrille die glänzende Unterseite der kleinen Wellen. Sobald ich näher komme, fliehen die winzigen Fische leise in die Korallen auf dem Meeresboden. Es ist vorbei. Die Sommerferien sind zu Ende. Wir müssen meine große Schwester Alison zum Kilimandscharo Flughafen bringen – sie fliegt nach England. In wenigen Tagen muss ich wieder ins Internat, ohne Alison. Ich schwimme zur Oberfläche und atme tief ein. Die Welt ist laut. Ich ziehe die Taucherbrille ab und blinzele ins Wasser. Salzwasser – man sieht nicht, dass ich geweint habe.
    Ich gehe die Böschung hinauf. Im Baobab Hotel ist kein Laut zu hören – weder im Hauptgebäude mit der Rezeption und dem Restaurant, noch in den Bungalows, die zwischen den Baobab-Bäumen stehen. Viele Gäste haben wir nicht. Alison packt. Sie soll bei der Schwester meines Vaters wohnen, ein halbes Jahr auf eine Hotelfachschule in Birmingham gehen und dann ein Praktikum in einem Hotel antreten. Ich lehne mich an den Türrahmen ihres Zimmers.
    »Willst du mich wirklich mit den Alten allein lassen?«
    »Ja«, antwortet sie.
    »Sie bringen mich um«, sage ich.
    »Ich muss etwas lernen«, entgegnet Alison. Vater läuft über den Flur. Ich blicke ihm nach.
    »Seit drei Jahren habe ich England nicht mehr gesehen. Und wir wohnen hier jetzt schon zwölf Jahre – ich werde als Tanzanierin enden«, rufe ich ihm hinterher. Er reagiert nicht.
    »Du kommst schon noch nach England«, sagt er schließlich, ohne sich umzudrehen.
    »Scheiße, ich will aber jetzt«, sage ich. Vater bleibt stehen, sieht mich an.
    »Jetzt beruhigst du dich erst einmal«, sagt er. »Außerdem habe ich gesagt, du sollst zu Hause nicht fluchen. Du kannst Alison nächstes Jahr besuchen.«
    Aufbruch
    Mutter serviert zum Abendessen Hummer, hinterher macht Alison Crêpe Suzette, die sie mit Cointreau am Tisch flambiert.
    »Jetzt verlässt die Erste das Nest, Missis Richards«, sagt Vater.
    »Ja, das ist traurig«, antwortet Mutter und lächelt – ein leichter Schauder scheint ihr über den Rücken zu laufen.
    Alison legt mir den Arm um die Schulter.
    »Ich hoffe, sie benehmen sich, wenn ich fort bin«, sagt sie.
    »Wer?«, will Vater wissen.
    »Ihr«, antwortet Alison.
    »Glücklicherweise bin ich ja die meiste Zeit in der Schule«, sage ich.
    »So schlimm sind wir nun auch wieder nicht«, meint Vater. Ich zupfe ihm die Zigarette aus der Hand und nehme einen Zug.
    »Samantha!«, sagt Mutter scharf.
    »Ach, lass sie doch«, entgegnet Vater.
    »Sie ist erst fünfzehn.«
    »Und es hat keinen Sinn, dass sie so wird wie du«, sagt Alison zu Vater.
    »Samantha ist ein harter Brocken, wie ihr Vater«, erwidert er und schaut Mutter an. »Die Kinder sind bald flügge. Die Aufgabe ist erfüllt. Von nun an kann jeder von uns seine eigenen Wege gehen.«
    »Vater«, mahnt ihn Alison.
    »Wieso musst du immer so gemein sein?«, sagt Mutter.
    »Tsk«, zische ich.
    Mutter beginnt zu schluchzen.
    Afrika
    Ich wache früh auf, mit Blut auf dem Laken, Kopfschmerzen und einem Ziehen in den Gliedern. In der Küche höre ich das Mädchen. Wir wollen im Laufe des Vormittags fahren. Ich ziehe das Bettzeug ab und werfe es in den Wäschekorb. Gehe ins Wohnzimmer. Alison steht in einem weiten T-Shirt schlaftrunken im Zimmer.
    »Wo ist Vater?«, fragt sie.
    »Weiß ich nicht«, antworte ich und schaue vor die Tür – sein Land Rover ist fort. Die einzige Spur: Zahnbürste, Zahnpasta und die Waffe fehlen. Ohne etwas zu sagen oder einen Zettel zu hinterlassen. Einfach weg. Wie lange? Wer weiß? Mutter sitzt auf der Veranda und trinkt Kaffee.
    »Er kommt nicht damit zurecht, Alison auf Wiedersehen sagen zu müssen.«
    Ich springe die Böschung hinunter zum Badehaus und rudere hinaus, um zu fischen, nur mit Maske, Schnorchel und Harpune. Ich tauche drei Meter tief, es beginnt zu regnen, obwohl es bis zur kurzen Regenzeit eigentlich noch drei Monate dauert – es erschrickt mich. Die Wasseroberfläche wird aufgepeitscht. Ich beeile mich, wieder an Land zu kommen. Grau in grau.
    Mutter sitzt noch immer auf der Veranda. Es hat aufgehört zu regnen.
    »Musst du nicht irgendetwas tun?«, frage ich.
    »Wieso?«, fragt sie zurück.
    »Weil …«
    »Ihr seid so gut wie aus dem Haus, und Douglas ist die ganze Zeit unterwegs. Jahrelang
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