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Esel

Esel

Titel: Esel
Autoren: Michael Gantenberg
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ihn heran.
    Wir waren fünf Menschen, die einen Esel in die Hand gedrückt bekamen. Jetzt sehe ich von ihnen … keinen mehr. Der Horizont der Uckermark hat jeden einzelnen verschluckt. Danke. Mir reicht Friedhelm, ich brauche keinen anderen Fremden mehr, um mich aufzuregen.
    Friedhelm steht jetzt bei mir, der Strick baumelt lose vor seinem zotteligen Hals.
    »Ich weiß, was du vorhast. Ich greif’ den Strick, und du rennst los.«
    Friedhelm malmt.
    »Ich mach’ dir einen Vorschlag: Wir beide gehen jetzt nach Kleinzedlitz, du gönnst dir ’ne Runde Stroh oder was auch immer, ich trink’ mir irgendwas, um den ganzen Mist hier zu vergessen, und morgen marschieren wir zurück. Ich fahr’ nach Hause, du wartest auf einen anderen Bekloppten, der mit dir hier durch die Gegend latscht, und gut. Na, wie klingt das?«
    Friedhelm malmt.
    »Es ist nichts gegen dich, echt nicht!«
    Friedhelm malmt.
    »Es ist nur so, du und ich, das ist nicht gerade ein Dreamteam. Ich … ich bin verheiratet.«
    Bin ich das wirklich noch? Natürlich. Ich muss allein Urlaub machen, irgendwo am Ende der Welt, aber das kann auch völlig normal sein. Ein kleines Kapitel im Rahmen einer ganz normalen Ehehygiene.
    »Ja! Ich bin verheiratet.«
    Friedhelm malmt. Und bewegt sich dabei keinen Zentimeter. Die Rotationsbewegungen seines Unterkiefers, der sich unter seinem stationären Oberkiefer sogar seitwärts bewegt, haben etwas Kontemplatives. Friedhelm malmt und schaut, mehr nicht. Was für ein Leben.
    Das Angebot, ein paar Mohrrüben als Lockmittel für Friedhelm mitzunehmen, habe ich dankbar abgelehnt. Die acht Kilometer zwischen der Eselübergabestation und Kleinzedlitz schienen mir auch ohne Gemüsekorruption möglich. Ich bin schließlich Pädagoge, zumindest von meiner Ausbildung her.
    »Und, wie sieht’s aus? Ist ja nicht mehr weit.«
    Mit Mohrrübe wäre es bestimmt leichter gegangen. Vielleicht finde ich etwas anderes, um ihn zu überzeugen, überreden hat anscheinend keinen Sinn, und ich werde jetzt auf keinen Fall versuchen, nach dem Strick zu greifen, weil ich ganz genau weiß, was er dann macht. Er wird die Strecke zwischen uns und Kleinzedlitz verlängern. Und dazu werde ich ihm keine Gelegenheit geben.
    »Okay, du bleibst hier stehen, ich guck’ mich mal eben um.«
    Friedhelm malmt.
    Für einen kurzen Moment finde ich es hier wirklich schön. Die sanften, welligen Hügel, die Bäume, die sich am Horizont zu einem Panorama vereinen – ein Bild, das tatsächlich an die Toskana erinnert. Schon schön. Aber Möhren wachsen hier weit und breit nicht. In Lucca wachsen sie auch nicht an jeder Ecke, da kaufe ich sie mir bei Vincenze auf dem Markt und esse sie selber, statt mit ihnen einen Esel bestechen zu wollen.
    Aber irgendwelche Kräuter und Gräser wird es ja wohl geben. Und es geht doch nur um die Geste. Ich zeige ihm etwas, er findet es prima, hält mich für nett, ich darf den Strick nehmen, alles gut.
    Was mache ich hier bloß? Und was macht eigentlich Karin? Ich könnte sie anrufen. Keine gute Idee. Sie wird denken, dass ich mich entschuldigen will, für was auch immer, um sie davon zu überzeugen, doch noch mit mir nach Lucca zu fahren, wie immer. Ich rufe sie nicht an. Wenigstens eine Nacht sollte ich hier bleiben. Nur eine Nacht. Morgen rufe ich sie dann an. So wird’s gemacht.
    Während ich weiter nach Gräsern, Kräutern und sonstigen Eselsdrogen suche, wähle ich ihre Nummer. Ich kann nicht warten, keine Nacht, keine Stunde, keine Minute. Ich muss sie jetzt anrufen. Vielleicht redet sie ja mit mir. Ich habe genug Einsatz gezeigt. Bin mehr als sechs Stunden mit dem Zug von Köln nach Prenzlau gefahren. Bin mit einem Bus über Land geholpert und durch Dörfer gekommen, von denen ich nie zuvor gehört hatte: Röpersdorf, Sternhagen, Strehlow, Potzlow, Kaakstedt, Gerswald, Flieth. Ich habe mir jeden einzelnen Namen gemerkt, um Karin zu beweisen, dass ich hier war. Und ich würde das jetzt auch wahnsinnig gerne tun. Mir kommt es gar nicht in den Sinn, mich zu fragen, ob es hier in dieser verlassenen Gegend ein Netz gibt. Hier gibt es so vieles nicht, ein Netz wird es geben müssen. Schon allein, damit die Menschen hier jemandem wenigstens per Handy sagen können, dass es so vieles nicht gibt. Und tatsächlich, es gibt ein Netzt, ich habe eine Verbindung!
    Das penetrante Tuten ist das einzige Geräusch, das hier nicht natürlich ist. Es bildet einen unangenehmen Kontrast zum sanften Rauschen des Windes und einem
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