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Esel

Esel

Titel: Esel
Autoren: Michael Gantenberg
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spazieren gehen, so was. Ich mag Tiere, die das alles alleine machen. Aber es hat wirklich nichts mit dir zu tun.«
    Ganze zwei Stunden kennen wir uns jetzt, und ich spreche mit dem Esel. Einem Asinus aus der Familie der Pferde.
    Esel! Esel! Esel!
    Der Unterschied zwischen ihm und meinen Schülern ist wahrscheinlich marginal, und diesem Tier etwas erklären zu wollen, was ich mir selber kaum erklären kann, macht garantiert genauso wenig Sinn, wie es Sinn macht, Heranwachsenden den Unterschied zwischen Conditional 1 und Conditional 2 beibringen zu müssen.
    Egal, eins steht fest, irgendwas scheint meinen Verstand völlig ausgehebelt zu haben. Ich spreche mit Friedhelm, einem zehnjährigen Esel aus Flieth-Stegelitz in der Uckermark, zweieinhalb Autostunden von Berlin entfernt. Und Friedhelm hört mir, anscheinend, auch noch zu. Wenigstens das ist ein Unterschied zu meinen Schülern. Trotzdem, ein Beamter der Besoldungsstufe A 13 spricht nicht mit einem Lebewesen, dessen Ohren länger als ein Erwachsenenpantoffel und dessen Zähne gelber als van Goghs Sonnenblumen sind.
    Friedhelm scheint etwas von mir zu erwarten. Ein Signal, ein Kommando, irgendwas. Bis auf diese lächerlich kleine Anleitung zum Umgang mit Friedhelm, die mir seine Besitzerin in die Hand gedrückt hat, habe ich nichts, was mich zu einem kompetenten Eselführer macht. Vielleicht erwartet dieser Esel auch nichts von mir. Er wäre nicht das einzige Lebewesen, das von mir nichts erwartet. Der Direktor des Gymnasiums, Dr. Eckehardt, hat dies bereits in meinem ersten Jahr an
seiner
Schule aufgegeben, und der Rest meines Kollegiums hat sich dem schnell angeschlossen. Das lernt man am Schiller-Gymnasium, noch bevor man zum ersten Mal den Schulhof betritt. Wer was werden will, der denkt wie Dr. Eckehardt, der redet wie Dr. Eckehardt, und wenn man sich nichts aus Mode macht und auch als Frau eine gewisse Kompromissbereitschaft besitzt, kleidet man sich auch so wie Dr. Eckehardt. Ich wollte nie was werden außer Beamter, dementsprechend verhielt ich mich, was Dr. Eckehardt gleich am ersten Tag richtig einzuschätzen wusste.
    Von Hunden weiß ich, dass sie dem Blick eines Menschen nicht lange standhalten können, es sei denn, sie halten sich für dominanter und stärker. Ein Hund schaut irgendwann weg, wenn er begriffen hat, wem er da in die Augen schaut. Friedhelm schaut nicht weg. Im Gegenteil, er scheint mich regelrecht zu fixieren. Jetzt nur nicht einschüchtern lassen. Man muss Grenzen ziehen, frühzeitig. Was für Krisengebiete und Ehen gilt, hat auch in einer Esel-Mensch-Beziehung seine Berechtigung.
    »Okay, kannst du haben. Wenn du glaubst, dass du hier der Chef bist oder so was, dann hast du dich geschnitten«, provoziere ich ihn.
    Friedhelm lässt sich nicht provozieren. Sein Unterkiefer malmt unbekümmert, wie die Kiefer meiner Schüler, die während meines Unterrichtes lieber einen Kaugummi bearbeiten, statt sich den Herausforderungen der Unterrichtsinhalte zu stellen. Bei meinen Schülern ist mir das egal. Ich habe noch nie den Ehrgeiz besessen, sie für den Einstieg ins Leben vorzubereiten. Es interessiert mich nicht, ob sie am Ende ihrer Schulzeit den Unterschied zwischen der Weimarer Republik und Dynamo Dresden kennen. Und wenn sie Past Perfect für eine Postpunk-Band aus Manchester halten, von mir aus. Ich werde nicht nach Erfolg bezahlt, sondern für meine gute Absicht und Präsenz. Letztere bringe ich mit. Der ganze bildungstheoretische Quatsch kann mir gestohlen bleiben. Lehrer ist für mich ein Traumberuf, wenn nur die Schüler nicht wären. Seit ich beschlossen habe, dass sie mir egal sind, geht es mir wirklich besser. Die Magenschmerzen haben nachgelassen, und mein Appetit ist auch wieder da. Ich habe gelernt, mein Programm runterzuspulen, ohne dabei ständig darauf achten zu müssen, dass es irgendeiner mitbekommt. Seit vier Jahren versuche ich nicht mal mehr, mir die Namen meiner Schüler zu merken. Wozu auch? Wenn man bei der Notengebung ein bisschen aufpasst, geht es auch so. Das ist unverantwortlich, natürlich. Aber seit ich weiß, dass ich mir wichtiger bin als die, kann ich damit leben.
    Bei Friedhelm ist mir das jetzt nicht egal. Seltsam. Ich will ihm nichts beibringen, aber ich will auch nicht, dass er mich so anglotzt und dabei mit dem Kiefer malmt. Ich will das nicht. Aber ich werde das jetzt auch nicht mit ihm ausdiskutieren. Selbst wenn in dieser Anleitung steht, dass man mit dem Esel sprechen soll. Ich habe mein Leben
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