Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Esel

Esel

Titel: Esel
Autoren: Michael Gantenberg
Vom Netzwerk:
verbringen.
    Ich werde alles tun, auf keinen Fall aber werde ich eine Nacht im Freien verbringen. Ich würde noch nicht mal in Lucca eine Nacht im Freien verbringen. In der Uckermark erst recht nicht.
    »Friedhelm?!«
    Ich kann wieder schreien, die Luft ist zurück. Und jetzt ist mein Gehirn auch so mit Sauerstoff versorgt, dass ich wieder an meine Frau denken kann. Endlich.

4. Ein Rucksack. Rucksack!
    »Können wir nicht noch mal über alles sprechen. Wir können jederzeit in Lucca anrufen, so schnell haben die garantiert keine Nachmieter gefunden.«
    »Haben sie, war überhaupt kein Problem«, sagte Karin und betrachtete dabei den Rucksack, der, halbgepackt, auf meiner Seite unseres Ehebettes stand.
    »Du hast bei Giancarlo und Maria angerufen?«
    »Ja.«
    Die Unbekümmertheit in ihrer Stimme war mir neu.
    »Aber sonst ruf’ ich da immer an.«
    »Ja, sonst.«
    Nun kam auch noch ein Anflug von Überheblichkeit hinzu.
    »Haben sie was gesagt?«
    »Das Wetter ist schön.«
    Zur Überheblichkeit gesellte sich die plumpe Ignoranz.
    »Sonst nichts?«
    »Giancarlo schickt uns Olivenöl.«
    »Und Maria?«
    »Nichts.«
    »Und dass wir nicht kommen, dazu haben sie nichts gesagt?«
    »Schon.«
    »Was?«
    Mit dieser Frage löste ich bei ihr einen Strategiewechsel aus. Karin verließ den sicheren Hafen der Arroganz und wurde offen aggressiv. Nicht hart, nicht verletzend, aber deutlich offensiver, als sie es sonst war.
    »Björn, das ist doch egal. Und wenn es dich so sehr interessiert, dann ruf sie doch an.«
    »Ich hab nur gefragt.«
    »Stimmt. Hast du Mückenspray dabei?«, fragte nun sie.
    »Gibt es da überhaupt Mücken?«
    »Wo es Wasser gibt, da gibt’s auch Mücken. Und in der Uckermark gibt es viel Wasser.«
    »Das ist ja beruhigend.«
    Karin inspizierte mein Reisegepäck, als gäbe es nichts Wichtigeres auf dieser Welt. Sie wirkte dabei lauernd, bemüht beschäftigt. Und dann hob sie mit einem Mal ihren Kopf aus der Lauerstellung, als gälte es nun, alle Konzentration auf etwas anderes zu richten.
    »Schlafsack?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Isomatte?«
    »Ja.«
    »Trinkflasche?«
    »Trinkflasche? Ich denk’, ich soll in die Uckermark, von Wüste war keine Rede.«
    »Im Prospekt steht: Trinkflasche nicht vergessen.«
    »In Prospekten steht viel.«
    »Deine Sache.«
    »Okay, wo haben wir unsere Trinkflasche?«
    »Wir haben keine.«
    »Wenn wir keine haben, wie soll ich sie dann einpacken?«
    Karin antwortete nicht auf meine Frage, die Antwort musste ich mir selber geben.
    »Schon klar, mein Urlaub, meine Trinkflasche, meine Sache, richtig?«
    »Genau.«
    »Karin, ich möchte trotzdem noch mal mit dir darüber reden. Du hast bestimmt für alles deine Gründe, auch wenn mir das alles jetzt sehr radikal vorkommt. Ich bin bereit, alles zu verstehen, aber wir sollten wirklich noch mal darüber reden. Bitte, ja?«
    »Ich fahre gleich in die Stadt, soll ich dir eine Trinkflasche mitbringen?«
    Ich kam einfach nicht an sie ran. Ein Dämon musste von ihr Besitz ergriffen haben – oder der Ratschlag einer Freundin. Wahrscheinlich Gabi, die alte Schlange, die mich noch nie leiden konnte, die alles daransetzte, mich schlechtzumachen. Jetzt war es ihr offensichtlich gelungen.
    Am Vortag meiner Abreise in Richtung Uckermark war ich der einsamste Mann auf diesem Planeten. Sechs Wochen Ferien vor der Brust, davon zwei in einem Natur-Gulag kurz vor der polnischen Grenze. Nur ein Esel und ich.
     
    Ich saß allein auf meiner Seite des Ehebettes und ertappte mich dabei, wie ich das von mir wie stets frisch gemachte Kissen auf ihrer Seite streichelte, während Karin schon auf dem Weg in die Stadt war, um mir eine Trinkflasche zu kaufen. Eine letzte Erinnerung – in der Halbliter-Version –, für die mein Rucksack eine Außentasche hatte, tatsächlich, extra für Trinkflaschen, was mir erst jetzt auffiel, denn benutzt hatte ich diesen Rucksack noch nie. Und eigentlich hatte ich es auch nicht vorgehabt.

5. Ein Ziel. Ein Stall. Ein Zuhause
    Die Toskana des Nordens liegt vor mir. Das sagt nicht nur mein kleiner Führer durch die Uckermark, das sagt hier jeder, wie mir Friedhelms Besitzerin noch vor der Übergabe meines Esels verriet.
    Friedhelm ist das egal. Das Gras in der richtigen Toskana wird auch nicht besser schmecken als hier – obwohl, wie soll er jemals den Unterschied schmecken? Er ist und bleibt ein Esel. Urlaube sind ihm fremd, und wenn Menschen wie ich nicht wären, käme das Thema Urlaub noch nicht mal theoretisch an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher