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Esel

Esel

Titel: Esel
Autoren: Michael Gantenberg
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unglaublichen Eselsfurz, den Friedhelm gerade jetzt einstreuen muss. Ich presse das Handy dichter an mein Ohr. Friedhelm legt noch mal nach. Ich gehe ein paar Schritte weiter, mit dem Wind, wie ich jetzt merke. Karin schaut jetzt wahrscheinlich auf das Display. Sie erkennt meine Nummer und – geht erst recht nicht ran. Oder sie hat das Handy im Auto vergessen, aber dann wäre sie auch weggefahren. Und wohin? Mit wem? Warum? Vielleicht ist auch ihr Akku leer. Sie vergisst fast immer, ihr Handy aufzuladen. Und wenn sie es nicht vergisst, dann vergisst sie ihr Handy auch von der Ladestation zu nehmen, um es bei sich zu tragen, was der Sinn eines Handys ist. Keiner der Gründe kann von mir hier überprüft werden. Keiner. Sie geht einfach nicht ran.
    Ich drücke das Gespräch weg, lausche dem Wind und warte auf den nächsten Eselsfurz. Vergeblich, denn Friedhelm ist weg.

6. Gleisarbeiten
    Dass sie mich zum Bahnhof gebracht hatte, war für mich mehr als nur eine nette Geste. Sie begleitete mich sogar bis zum Gleis. Das war nicht nötig.
    »Schön, dass du mitgekommen bist, Karin.«
    »Warum nicht?«
    »Na ja, erst schickst du mich in die Uckermark, und dann kommst du auch noch mit. Ich mein’, bis zum Gleis. Du hättest mich auch nur vor dem Bahnhof rauslassen können.«
    »Ich hab’ Zeit.«
    »Verstehe.«
    »Und außerdem gab es ausnahmsweise mal einen Parkplatz.«
    »Natürlich, sonst hättest du … ja, so, wann kommt denn der Zug? Hat bestimmt Verspätung.«
    »Nö.«
    Karin lenkte meinen Blick auf die Anzeigetafel. Keine Verspätung.
    Der Rucksack parkte, samt Trinkflasche, neben mir. Die Situation war mindestens so lächerlich wie mein Outfit. Ich trug eine dieser beigen Funktionshosen, die meine alternativen Kollegen ganzjährig tragen, als gälte es, nicht nur einen Schulhof zu betreten, sondern in der Pause auch noch den Nanga Parbat zu besteigen. Karin hatte mir diese Hose mitgebracht. Sie war ein Geschenk, deshalb hatte ich sie angezogen. Nur deshalb. Ich sah unmöglich darin aus.
    »Steht dir«, sagte Karin.
    »Finde ich auch, so eine Hose wollte ich immer schon mal haben.«
    »Echt? Ich dachte, so was magst du nicht.«
    »Doch«, log ich.
    »Ich finde die praktisch, wenn es warm wird, kannst du daraus eine kurze Hose machen.«
    Karin sah so manches immer nur von der praktischen Seite. Für sich selber hätte sie aber niemals eine solche Hose gekauft. In Modefragen galt ihre praktische Sicht der Dinge eher nur für mich. Doch so kurz vor dieser Landverschickung hielt ich es für weniger angebracht, mit ihr so etwas zu diskutieren.
    »Stimmt, Karin, die ist wirklich … durchdacht, die Hose, sehr praktisch, hier mit dem Reißverschluss, damit kann man eine kurze Hose draus machen, oder?«
    Wie denn sonst.
    »Soll ich mal?«, fragte Karin.
    »Du, lass mal. Ist ja noch frisch.«
    Es war warm, wie es sich für einen Julitag gehörte.
    »Will ja nur mal gucken«, sagte Karin.
    »Was machst du eigentlich, wenn ich jetzt in der Uckermark …«
    Karin schwieg, obwohl sie die Frage genau verstanden hatte. Stattdessen nestelte sie an dem Reißverschluss meiner neuen Hose, und ein paar Sekunden später konnte jeder auf dem Gleis erkennen, dass meine Waden in den letzten Monaten nicht nur die Sonne gemieden hatten, sondern auch jede Form der körperlichen Betätigung. Mir war das peinlich. Ich mache mir nicht viel aus Äußerlichkeiten, nur in der Öffentlichkeit. Und ein Bahnhofsgleis besteht im Grunde nur aus Öffentlichkeit.
    »Kannst du das Bein bitte wieder dranmachen?«
    »Klar, ich wollte nur eben wissen, ob es funktioniert.«
    Während Karin versuchte, mein Bein zu retten, sondierte ich die Lage. Eine typische Lehrermacke. Wer einmal während des Unterrichts von einer Stahlkrampe getroffen worden ist, vermutet von überall her einen Angriff. Erst jetzt fiel mir auf, wie viele Paare auf dem Gleis standen. In inniger Umarmung, locker plaudernd oder beim küssenden Austausch von Frühstücksresten. Gleich würde ich als einziger Single in den Zug steigen, denn niemand schien sich hier verabschieden zu wollen.
    Karin auch nicht, denn statt sich mit mir zu unterhalten, musste sie sich auf den Reißverschluss konzentrieren.
    »Das Ding hakt. Ich glaub’, ich hab’ die Rechnung noch, ich kann die Hose umtauschen.«
    »Ja, komm, machen wir. Ist aber auch ärgerlich.«
    »Ich will die nicht jetzt umtauschen, erst, wenn du zurückkommst.«
    Ich versuchte erst gar nicht, meine Enttäuschung zu verbergen. Ich war
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