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Esel

Esel

Titel: Esel
Autoren: Michael Gantenberg
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wie elektrisiert von der Aussicht, diese Hose auf der Stelle wieder zurück in den Laden zu bringen, um direkt danach mit Karin den Rest des Nachmittages in der Stadt beim Italiener oder sonst wo zu verbringen.
    »Die Hose kann ich doch auch in vierzehn Tagen umtauschen, Björn.«
    »Natürlich. Aber ich kann doch jetzt nicht so in den Zug steigen.«
    »Warte, ich hab’s gleich.«
    Eben noch war Karin bemüht gewesen, den Reißverschluss gewaltfrei davon zu überzeugen, die teilweise kurze Hose in eine vollständig lange zu verwandeln. Gewaltfrei schien das aber nicht zu gehen. Karin wechselte die Strategie. Ohne Erfolg. Ein hässliches Geräusch erklang, und die Hose hatte 50 Prozent ihrer Funktionsfähigkeit verloren. Und soweit ich das von oben beurteilen konnte, für immer.
    Dass mein Zug jetzt einfuhr, dass ich mich von Karin nicht richtig verabschieden konnte, dass ich wie ein Depp aussah und mit einem langen und einem kurzen Bein in den Zug steigen musste, all das konnte ich nicht verdient haben. Was auch immer ein Mensch in seinem Leben verbricht, zerstörte Funktionshosen sind das Ende der Kultur und der Anfang der Barbarei.
    Wenigstens lachte Karin zum Abschied. Die meisten meiner Mitreisenden lachten mit ihr.

7. Wer den Esel vor sich hertreibt, muss seinen Furz vertragen
    Ich kann ihn schon sehen.
    Friedhelm hat Hunger. Es liegt nicht an mir. Dafür kennen wir uns noch gar nicht lange genug. Seine Flucht hatte einen anderen Grund. Er will jetzt nur eben unbedingt diese gelben Blumen da hinten essen, und direkt danach will er wieder zurück zu mir, um dann auf direktem Wege, gemeinsam mit mir, nach Kleinzedlitz zu wandern. Genauso wird es sein. Auch so eine Lehrermacke, entweder alles durch eine Folklorebrille zu betrachten oder mit völlig unangebrachtem Optimismus. Beides macht hier keinen Sinn, denn in der Welt von Friedhelm spiele ich keine Rolle und Kleinzedlitz auch nicht. Für ihn zählen jetzt nur die Blumen, die er in sich hineinschaufelt, und selbst die wird er vergessen haben, sobald er satt ist. Was für ein Leben. Ein Eselleben.
    Ich schleiche mich an ihn heran, gegen den Wind, damit Friedhelm keine Witterung aufnehmen kann. Ich habe dazugelernt. Zwar bin ich immer noch weit davon entfernt, ein Naturbursche zu sein, aber so wie ich mich dieser wilden Kreatur nähere, passt auch die mittlerweile vollständig gekürzte Funktionshose zu mir. Und ich werde jetzt auch nicht auf einen kleinen Ast treten, damit Friedhelm mit seinen riesigen Ohren etwas anderes tut, als die Fliegen zu vertreiben. Vier bis fünf Meter sind es noch, bis ich bei ihm bin. Ich beuge mich herab, schleiche jetzt gebückt, mit einem leichten Ziehen im Rücken, dessen Schmerzimpuls ich zu unterdrücken versuche. Wer Erfolg haben will, muss leiden können. Das gilt auch für Lehrer, was für mich nichts mit Erfolg zu tun hat, sondern mit Aushalten. Wenn ich mich einigermaßen geschickt anstelle, dann sind es nur noch zehn oder zwölf Jahre bis zur Pension. Irgendwas werde ich bis dahin haben, was Psychosomatisches oder was Reelles, ganz egal, Hauptsache kaputt im Sinne der Beamtenpensionierung.
    Friedhelm hebt den Kopf, hat er doch was gehört? Nein, er ist sich seiner Sache sicher. Er senkt den Kopf schon wieder, sind ja auch noch genug von diesen gelben Blumen da. Er glaubt, er hätte mich abgeschüttelt – so wie Karin. Der Vergleich hinkt, das ist klar, aber ich muss unweigerlich an sie denken, irgendwie schleiche ich mich ja schließlich auch an sie heran, mit einem kleinen Umweg über Kleinzedlitz in der Uckermark. Wenn ich dieses Abenteuer bestanden habe, dann werde ich auch vor ihr stehen, und dann werden wir reden müssen, und sie wird mir etwas erklären. Bis dahin ist es nicht mehr lange. Ich bin jetzt fast am Ziel.
    »Au!«
    Zwei Vokale, ein Schrei, und Friedhelm weiß, was zu tun ist. Esel sind gemäßigte Fluchttiere, steht in der Anleitung. Friedhelm scheint das Wort ›gemäßigt‹ nicht zu kennen. Er ist ein ausgesprochen leidenschaftliches und kompromissloses Fluchttier, das jetzt, ohne jede Mäßigung, mit einem Rest von gelben Blumen im Maul über einen gefällten Baumstamm springt, als gälte es, olympische Rekorde zu brechen.
    Irgendein Mistvieh hat mich gestochen, in die Wade, dort, wo sonst immer eine vernünftige Hose mich vor so mancher Gefahr einigermaßen schützt.
    Der Stich ist unübersehbar. Karin würde ihn jetzt kleinreden. Ich nicht. Es bildet sich bereits eine knallrote Quaddel, mit einem
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