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Esel

Esel

Titel: Esel
Autoren: Michael Gantenberg
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gelblich milchigen Zentrum. Bilde ich mir das ein, oder ist diese Quaddel wirklich außergewöhnlich groß? Größer als sonst, größer als alle mir bekannten Formen eines Insektenstichs. War das wirklich nur ein Insekt oder gar eine Schlange, eine gefährliche Schlange? Ich kenne mich nicht aus, ich weiß nicht, wo welche Schlange beheimatet ist. Ich weiß nur, dass dieser Stich kein gewöhnlicher ist. Und weit und breit ist niemand zu sehen, der mir jetzt helfen könnte: ein Arzt, ein Sanitäter, eine Hebamme oder wenigstens ein Bauer mit Erste-Hilfe-Ausbildung. Was ich in unserem Ferienhaus in Lucca großartig finde, finde ich hier beängstigend: Die Einsamkeit macht mich verrückt, und ich bin noch gar nicht lange so einsam. Karin würde sich jetzt noch immer keine großen Sorgen machen, aber sie wäre ja auch nicht gestochen worden.
    Ich greife in eine der Funktionstaschen meiner schrecklichen Funktionshose und ertaste das Schweizer Messer, das Karin mir am Morgen meiner Abreise, noch vor dem Frühstück, zugesteckt hat. Für den Fall der Fälle. In den entsprechenden Filmen ist so ein Messer die letzte Möglichkeit, das große Finale zu verhindern. Man schneidet die Wunde ein, um das Gift besser abfließen zu lassen – oder ging das doch anders? Die Kinohelden lassen das Messer noch minutenlang über einer Flamme kreisen, um es steril zu machen, behaupten sie. Was für ein Blödsinn, sie machen es glühend, mehr nicht. Mal abgesehen davon, dass ich hier keine Flamme habe, will ich mir nicht auch noch zusätzlich eine Brandverletzung zufügen. Ich lasse das Messer, wo es ist. Wer aufgeregt ist, macht Fehler, und ich bin sehr aufgeregt. Jetzt keine Experimente. Wenn ich das Bein abbinde, kann ich so auch das Schlimmste verhindern. Erst wenn das Gift das Herz erreicht, ist alles zu spät. Bis dahin habe ich noch Zeit, glaube ich. Die Quaddel sieht mittlerweile so aus, als hätte jemand einen Medizinball unter meiner Haut versteckt. Eine normale Hose könnte ich gar nicht mehr tragen. Ich schleppe mich zum Baumstamm. Er erscheint mir wie der richtige Ort, um alles Weitere mit mir zu besprechen.
    Plötzlich spüre ich einen warmen Atem in meinem Nacken. Friedhelm steht hinter mir.
    Was für eine Tragödie. Im Moment meines Todes bin ich allein mit einem Esel, in Sichtweite von Kleinzedlitz.
    Selbst wenn Karin mich jetzt so sehen könnte, würde sie sich nicht um mich sorgen. Sie hat sich eigentlich nie Sorgen um mich gemacht, zumindest nicht wegen irgendwelcher körperlichen Probleme. Dabei haben Lehrer jede Menge davon. Meistens dann, wenn keine Ferien in Sicht sind oder wenigstens Fortbildungen. Ich hätte es gut gefunden, wenn sie sich Sorgen gemacht hätte. Sie hätte nicht gleich zum Äußersten greifen müssen, Notruf, Testamentsbesprechung, diese Richtung, aber ein wenig Respekt vor meinem Zustand, ein wenig Anerkennung meines Leidens hätte ich angemessen gefunden.
    Damals, als ich im Bett lag, nach dieser Sache in der Schule, da hat sie sich auch keine Sorgen gemacht …

8. Ich kann nicht, kannst du?
    »Ich habe Fieber.«
    »Glaube ich nicht.«
    »Kannst ja messen. Da.«
    Meine zittrige Hand deutete zum Nachttischchen, auf dem das Fieberthermometer darauf wartete, einer ungläubigen Ehefrau zu beweisen, wie krank ihr Mann war.
    »Björn, es ist Montag, das ist kein Fieber, das ist nur die Angst vor deiner Klasse.«
    »Ich habe keine Angst, ich habe Fieber.«
    In diesem Moment war ich mir wirklich nicht sicher, was nun stimmte. Theoretisch konnte es Fieber sein, aber das mit der Angst hätte es auch sein können. Mir waren ein paar Fehler unterlaufen, die einem Lehrer nicht passieren dürfen. Es war zu spät, daran etwas zu korrigieren. Schüler können nichts behalten, außer den Fehlern ihrer Lehrer. Ich hatte Grund, Angst zu haben, und ein bisschen Fieber hätte da durchaus erlaubt sein dürfen.
    »Björn, hat es was mit dieser Katrin zu tun?«
    »Katja, wenn schon.«
    »Also, hat es?«
    »Was meinst du jetzt?«
    »Dein Fieber.«
    »Glaubst du, ich bekomme Fieber wegen einer Schülerin?«
    »Warum nicht?«
    »Warum misst du nicht einfach?« Meine Frage sollte provozierend klingen. Sollte! Karin ist keine Frau, die sich durch Fragen dieser Art provozieren lässt. Sie kann derartige Fragen mit einem Blick auflösen, als hätte es sie nie gegeben. Deshalb unternahm ich noch einmal den Versuch, auf das Nachttischchen zu deuten.
    Karin nahm das Fieberthermometer und gab es mir. »Dann miss mal schön, ich
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