Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch
Autoren: Marcus Hammerschmitt
Vom Netzwerk:
Eddie hatte zwei Gewehre. Mit einem davon schoß er auf Tontauben, wenn ihm langweilig war. Das Geballer trug zwar manchmal ziemlich weit über die See, aber das war ihm in langweiliger Stimmung egal. Er hatte schließlich auch sein Recht auf Vergnügen. Eddie war mittlerweile trotz seines schlechten rechten Arms ein ganz passabler Tontaubenschütze, denn hier draußen konnte einem schon öfter kotzend langweilig werden. Das zweite Gewehr war eine wirklich gefährliche Waffe, auch über eine Entfernung von dreißig Metern hinaus. Es war mit Elefantenschrot geladen, 12 kleine Murmeln pro Kartusche. Eine davon konnte einen Menschen kaputt machen, zwei oder drei waren eine sichere Fahrkarte in den Elefantenhimmel. Eddie hatte dieses Gewehr erst wenige Male zu Testzwecken abgefeuert und zwar auf überflüssige Leuchtbojen, die er von der Plattform ins Wasser hinunter geworfen hatte. Sie waren geplatzt, als hätte er sie gesprengt. Der Rückschlag des Bärentöters hatte ihm jedesmal beinahe das Schultergelenk ausgerenkt, und ganze Ameisenstraßen von Schmerz waren seinen rechten Arm hinaufgekrochen. Wenn er jemand töten wollte, der vielleicht bewaffnet war, dann brauchte er das zweite Gewehr. Er sah aus dem Fenster seiner Kabine. Der Wasserläufer war schon recht nahe. Es herrschte Sonnenschein. Die Windräder kreisten mit dem charakteristischen Zischen, das Eddie auf einmal lauter vorkam als je. Da draußen kam Besuch, den er nicht bestellt hatte. Er entschied sich für das Elefantenschrot.
     
    Eddie hatte Probleme mit der Welt, hatte sie immer gehabt. Als Kind schon. Als Jugendlicher verstärkt, bis hinein in Besserungsanstalten für die Kinder von Besserverdienern, bis vor die juristischen und psychologischen Besserwisser, die für Erwachsene zuständig sind und die sagten: Geh in ein geschlossenes Haus. Besser ist das. Dort war es wirklich besser, in gewisser Hinsicht, Eddie bekam eine Ausbildung geschenkt (und das war eines der wenigen öffentlichen Geschenke, die Eddie je angenommen hatte), er bekam dort Rastalocken, die er sich mit Bleichmittel strohblond machte, und er bekam dort die grimmige Art von Zuversicht, die er sich in einem alten Spruch auf den Oberarm tätowieren ließ: Mach die Augen zu, und was du siehst, ist dein. Die Ausbildung, die das geschlossene Haus Eddie vermachte, bestand in weitläufigen Erfahrungen über Windkraftanlagen, zusammenfaßbar zu einem Titel namens Windenergieanlagenmechaniker. Ein zweiter Teil seiner Ausbildung in dem geschlossenen Haus bestand darin, daß er unter ungeklärten Umständen von dem kleinen, sieben Meter hohen Windturm fiel, den das geschlossene Haus sein eigen nannte (100.000 Watt maximal). Er lag dann einen Monat im Krankenhaus und hatte danach sowohl einen schlechten rechten Arm, als auch einen leichten Sprachfehler (Lispeln). Sein entfernt lebender Vater bot ihm über die Anstaltsleitung einen neuen rechten Arm an, Eddie lebte lieber mit seinen eigenen Ersatzteilen. (Sein Vater ließ ihn wissen, er habe nichts anderes von ihm erwartet.) Als Eddie Angestellter der Impact Offshore Engineering AG, Hamburg, wurde, war er 23. Nach fünf Jahren Dienst auf einer Windplattform in internationalen Gewässern der Nordsee (20 Megawatt) trug er immer noch strohblonde Rastalocken, war er immer noch erfüllt von grimmiger Zuversicht, dachte er immer noch so: die Welt will nicht mit mir spielen, ich spiele nicht mit ihr. Außer organischem Altern war mit Eddie in diesen fünf Jahren unter den kreisenden Rotoren gar nicht so sehr viel passiert, er hatte immer noch keine Frau gehabt, sein rechter Arm war immer noch schlecht, aber er verpaßte kaum noch eine Tontaube, wie sehr ihn der semi-intelligente Wurfapparat auch täuschen wollte. Eddie lebte im Zeitalter der Windkraft. Zu Zeiten des Vogelzugs konnte die Plattform übersät sein von Federn, Kadaver fand er seltener, die fielen oft noch ins Meer. Bravo West versorgte zusammen mit den drei anderen seines Atolls eine norddeutsche Kleinstadt mit Strom. Eddie war ein kleiner Fisch am Rande von gar nichts.
     
    Eddie schwitzte, und er haßte das. Der sechsbeinige Wasserläufer lag jetzt dicht an einem der Pfeiler der Plattform an, sanfter Seegang schaukelte ihn immer wieder dagegen, aber das automatische Abstandssystem beschäftigte zwei der sechs Beine mit einem sanften Tanz, der verhinderte, daß das zarte Gebilde an dem Pfeiler zu Schaden kam. Eddie wünschte sich, er hätte das Rauchen nicht erst letzte Woche wieder einmal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher