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Esel

Esel

Titel: Esel
Autoren: Michael Gantenberg
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Räder habe ich jetzt alles. Ich leg’ alles in die Garage, okay?«
    Erst jetzt registrierte ich ihr Schweigen.
    »Karin, alles okay?«
    »Ja, alles okay, Björn.«
    »Is’ was?«
    »Nein, warum?«
    »Weiß nicht, du stehst da so.«
    Sie stand da wie angewurzelt, die Arme vor der Brust verschränkt, und atmete ein bisschen zu flach.
    »Gut, dann … mach’ ich uns was zu essen.«
    »Für mich nicht«, sagte Karin.
    »Für dich nicht?«
    »Das sagte ich.«
    »Ja, ich habe es ja auch gehört. Irgendwas ist doch?«
    Ich lächelte sie an. Sie lächelte nicht zurück.
    »Ist es wegen der Schläuche? Du hältst mich für zu sparsam, oder? Karin, mir geht es da ums Prinzip: Ich sehe einfach nicht ein, dass ich in Lucca das Doppelte für einen Schlauch bezahlen muss, den ich hier in Köln für die Hälfte bekomme. Das ist nicht sparsam, das ist vernünftig.«
    Schweigen.
    »Björn. Kennst du die Uckermark?«
    Irritiertes Schweigen.
    »Was?«
    »Die Uckermark.«
    Entsetztes Schweigen.
    »Die Uckermark? Was ist damit, sind da die Schläuche noch billiger?«
    »Das kannst du mir dann ja hinterher sagen.«
    »Wie?«
    »Ob die Fahrradschläuche in der Uckermark billiger sind, kannst du mir dann sagen.«
    Lähmendes Schweigen.
    Karin hatte noch immer die Arme vor ihrer Brust verschränkt, und sie hatte sich keinen Millimeter bewegt. Ich schon. Ich wechselte vom Standbein auf das andere und zurück. Das mache ich immer, wenn ich nervös bin oder wenn ich eine Situation nicht richtig einschätzen kann. Seit einer meiner Schüler mich darauf angesprochen hat und es netterweise vor der gesamten Klasse vormachen musste, versuche ich das zu unterdrücken.
    »Karin, ich versteh’ nicht ganz, was das jetzt soll.«
    Endlich bewegte sie sich.
    Karin griff in die Schublade, in der wir unsere Pässe, Klebeband und Postkarten verwahrten, die wir aus sentimentalen Gründen nicht vernichten konnten, und klaubte einen Umschlag hervor, den ich nie zuvor gesehen hatte. Sie gab ihn mir.
    »Da, schau mal rein.«
    Ich öffnete den Umschlag und fand ein Sortiment an bunten Beschreibungen einer Gegend, die mir mindestens so fremd vorkam wie meine Frau in diesem Moment.
    »Uckermark, super, ähm, habe ich irgendwas verpasst, Karin?«
    »Ja, aber das kannst du jetzt nachholen.«
    »In der Uckermark?«, scherzte ich.
    »Ja«, entgegnete sie ernst. »Du fährst in die Uckermark.«
    »Ich?«
    »Du.«
    »Karin? Alles gut?«
    »Steht alles in den Unterlagen. Ich habe dir eine Reise gebucht. Vierzehn Tage Uckermark.«
    »Wir fahren nach Lucca, und das habe
ich
gebucht.«
    »Ja, und
ich
habe es storniert.«
    »Karin, so langsam werde ich sauer.«
    »Von mir aus.«
    »Karin, wir fahren seit zehn Jahren nach Lucca.«
    »Und das wird das erste Jahr, in dem wir nicht da hinfahren. Sondern …« Sie tippte auf den Prospekt.
    »Spinnst du, was soll das?«
    »Björn, ich werde mich jetzt nicht mit dir streiten. Du fährst in die Uckermark, oder wir trennen uns gleich.«
    Das saß, und nur einen kleinen Moment später saß auch ich, weil es mir sonst buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen hätte.
    »Karin, ich … wir … du … was ist denn los? Trennen?«
    »Ich möchte jetzt nicht mit dir darüber reden.«
    »Karin, du haust mir das vor den Latz, und dann willst du nicht darüber reden. Ich will darüber reden. Wir waren gestern noch beim Italiener.«
    »Was hat das denn damit zu tun?«
    »Du gehst mit mir zum Italiener, und einen Tag später willst du dich von mir trennen?«
    »Björn, es gibt Menschen, die trennen sich beim Italiener.«
    »Wir nicht.«
    »Ja, wir haben uns auch nicht getrennt. Und wenn du mir genau zugehört hättest, dann wüsstest du auch genau, warum.«
    Rettendes Schweigen. Luft holen. Energie sammeln. Strategie ändern. Ehedidaktik.
    »Okay, Karin, nur mal angenommen, Uckermark, kein Thema, kann man überlegen, muss man aber nicht – aber wirklich, nur mal angenommen, Uckermark … ich fahr’ da doch nicht allein hin. Wir haben Urlaub. Du. Ich. Wir. Ich hab noch nie allein Urlaub gemacht.«
    »Musst du auch nicht.«
    Ich war erleichtert. »Mensch, ich hab echt gedacht, du schickst mich jetzt allein los.«
    »Du hast einen Esel dabei«, ergänzte sie trocken.
    »Ich habe was?«
    »Im Umschlag, der blaue Prospekt.«
    Ich starrte sie an, hoffte, dass jetzt endlich die erlösende Pointe kam. Aber Karin griff nur zu dem Umschlag und kramte für mich den blauen Prospekt hervor.
    Als ich meinen Blick darauf warf, sah ich
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