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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse
Autoren: Per Olov Enquist
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Kapitel 1 Das Gleichnis vom
wiedergefundenen Notizblock
    Dem Arbeitsbuch zufolge ist er ihr nur dreimal begegnet.
    Das erste Mal an einem Sonntagnachmittag im Juli 1949, da benutzt er die rätselhafte Bezeichnung »die Frau auf dem astfreien Kiefernholzboden«. Das zweite Mal am 22. August 1958, in Södertälje. Das dritte Mal im November 1977.
    Er hatte offenbar versprochen, niemals etwas zu erzählen, niemandem.
    Aber inzwischen sind ja so viele Jahre vergangen. Da kann es jetzt auch egal sein.
    Viele Jahre später bereut er, im Gemeindehaus nach der Beerdigung der Mutter 1992 keine bessere Rede gehalten zu haben.
    Sie hätte einfacher sein sollen, nicht so humoristisch. Er war ausgewichen , er hätte direkter reden sollen, nicht drum herum , als er zusammenfassen sollte. Er hatte seitdem, schon nach wenigen Jahren, den Wunsch gehabt, eine revidierte Ausgabe der Rede zu schreiben, sie vielleicht nur in zehn Exemplaren zu drucken, um sie an die Enkelkinder zu verteilen, einen ganz ruhigen Text, ohne biblisches Erschauern.
    Es für Kinder zu erzählen oder niederzuschreiben war jedoch nicht leicht. Er fragte sich oft, was eigentlich falsch gelaufen war. Er hatte ja Erfahrung mit dem Schreiben. Hatte es schon als Kind gelernt, dann damit weitergemacht.
    Wenn er schrieb, hatte er nie Angst, aber nur dann.
    Deshalb mischte er sich zusammen. Es war, als läge der Bücherhaufen vor seinen Füßen, und dann trat er zu, als sei er nicht schuldig ! Es war, als teile er sich auf. Ein Teil von ihm war der niedergeschriebene Teil, den er benannte . Ein anderer war der Bruder, der schon als Neugeborenes gestorben war, nach zwei Minuten, gerade dem gierigen Schoß der Mutter entrissen. Der hatte die Lösung. Als man den kleinen, bereits erstarrten Körper fotografierte, hatte dieser jedoch nicht wie ein Fisch an Land das Maul aufgesperrt, sondern ein süßliches Aussehen gehabt. Und dies kann sich übertragen haben! Auf den zwei Jahre später kommenden Bruder! Also ihn selbst! Und sichtbar geworden sein bis weit ins hohe Alter. Das Süßliche steckte an! Und es war dieses Süße, das ihn daran gehindert hatte, einen Liebesroman schreiben zu können.
    Man fasst sich an den Kopf!
    Es gab gute Gründe dafür, Angst zu haben, wenn man es recht bedachte, das hatten ja viele.
    Man konnte bei der Revision der Grabrede auch die schwarzen Löcher aufsuchen. Oder das, was zwischen dem Gesagten lag, vielleicht war noch Zeit. Sich in den Spalt der Geschichte hineindrängen. Als ob das einfacher wäre! Es war ja das Ausgelassene, was am meisten schmerzte. Die Löcher und die Spalte waren nicht selbstverständlich, sie waren hauptsächlich wie Mitteilungen, deren Zeilen sich überlagerten, so dass die ursprünglichen Wörter, wieder aufgesucht, langsam überdeckt und grau und dann schwarz und am Ende ganz unbegreiflich wurden. Sie überdeckten sich selbst.
    So war es mit dem Einfachen. Es war wie Selbsterlösung.
    *
    Im September fuhr er hinauf ins Dorf.
    Er wollte, der Sicherheit halber, Granholmen besuchen, mit den vieltausendjährigen Tannen, mindestens tausend Jahre alt! , wie seine Mutter ihm in den vierziger Jahren versichert hatte, wenn sie auf dem Stein gesessen und übers Wasser gestarrt hatte, als der Ehemann tot und nur der kleine Junge noch da war, wenn man Trost suchte. Aber er war mager und eher rank.
    Die Tannen waren gewaltig, der Holm nur siebzig Meter im Durchmesser, das Haus hatte der Vater zuerst als Sommerwohnung zehn Meter vom Grünen Haus entfernt errichtet. Dann starb er, mir nichts, dir nichts! , und der Großvater und die Brüder hatten alles zusammen abgebaut und im Winter mit dem Pferd übers Eis nach Granholmen geschafft und dort aufgebaut.
    Es war in der Zeit, als man noch Häuser bauen konnte.
    Die Familie hatte eingegriffen, weil sie vom Tod des Vaters auf eine nahezu unbegreifliche Weise erschüttert worden waren. Annen Elof hatten sich ja große Hoffnungen geknüpft. Er war in gewissem Sinne speziell, aber keineswegs anderst gewesen, und die Familie hatte ihr eine Art Geschenk machen wollen. Sie war ja eingeheiratet und stand somit genau genommen außerhalb der Familie, aber der kleine Junge gehörte ja dazu, also genauer genommen. Der Großvater, P.W., hatte ihr außerdem ein Ruderboot gebaut. Es ließ sich schwer rudern, war aber stabil, damit der Junge keiner Gefahr ausgesetzt würde.
    Er nahm nicht eine Öre dafür. Er wollte vielleicht zeigen, dass man zusammenhielt.
    Das Dorf hatte fünfzig Jahre später
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