Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse
Autoren: Per Olov Enquist
Vom Netzwerk:
wirklich mit solcher Schnelligkeit erkaltete, dass dies von der trauernden Witwe, also der gerade Verwitweten, wahrgenommen werden konnte. Dann konnte das Ausmalen auch das Krankenzimmer umfassen, und die Leere, vielleicht auch das Echo in diesem ansonsten so sterilen und kahlen Krankenzimmer. Der hohe Ton, sein eigener hoher Ton! , konnte sich da ausbreiten!!! Die plötzliche Erleichterung, von ihm frei zu sein, zerbrach für einen Augenblick ihr Schweigen, deformierte das Weinen und schuf eine Art verzweifeltes Meckern wie von einem Widderlamm.
    So, vielleicht.
    Möglicherweise eingeschrieben ein bestürzter Arzt, Hultman!, der in der Tür innegehalten und dann mit einem Ausdruck von Resignation den Todesfall zur Kenntnis genommen hat, der Gewohnheit gemäß, indem er die Augenlider des Toten anhebt und seine Pupillen untersucht ! Also dies alles, ihr meckerndes Schluchzen eingeschlossen – wie könnte dies nicht ausgemalt werden!
    Aber sollte er? Nein!
    Das Rätsel war ja, dass der Notizblock teils verbrannt war, teils danach aus der schonungslosen Umarmung der Flammen gerettet wurde, teils anschließend auf Abwege gekommen war. Dies waren zwei oder drei Rätsel, und er konnte sich nicht entscheiden, welches am schwersten zu verstehen war. Man musste es sich vorstellen, beinahe zusammendichten, auch wenn man Widerwillen dagegen empfand. Es wäre besser, man wüsste es ganz sicher, doch das schien schwierig, vielleicht ganz und gar unmöglich.
    Unfug! Er musste sich damit begnügen, es sich vorzustellen . Folgendes war da geschehen und später durch die Aussage der jetzt toten Mutter klargestellt. Der Mann, den man Elof nennen kann, hatte drei Tage mit furchtbaren Bauchschmerzen dagelegen, er war an der Porphyrie erkrankt, die jedoch fälschlich als geplatzter Blinddarm diagnostiziert wurde, war am Ende ermattet und hatte trotz der Tränen und Klagen der Ehefrau aufgehört zu atmen. Er war ganz einfach weggestorben.
    Sie hatte dann den Bus nach Hause genommen. Der Bus hatte gegen 18.15 Uhr unterhalb des Grünen Hauses gehalten, um sie, die flennte, abzusetzen. Der Chauffeur, es war Marklin!, hatte da, der Legende zufolge, seiner barschen Art zum Trotz, und weil Tiefschnee bis zum Haus hinauf lag, gefragt, ob niemand da sei, der sich der Frau erbarmen könne. Doch sie war allein in der Dunkelheit durch den Schnee zum Grünen Haus hinaufgestapft. All dies war in der Legende fest belegt, doch jetzt begann das Schwere.
    Das Kind (er selbst!) war im übrigen zu einer Schwester des Vaters gegeben worden. Es war Tante Valborg. Auf sie wird später zurückzukommen sein. Für jetzt genug davon.
    Nach der Beerdigung, und nachdem Fotograf Amandus Nygren das Leichenfoto im Sarg gemacht hatte, und die Mutter ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte (der Tote war ja Waldarbeiter, aber in der Endphase seines Lebens Lährarinn’mann) – da ging es ans Aufräumen. Und dabei hatte sie den Notizblock gefunden, und gelesen.
    Die Legende besagte, dass sie stark angerührt worden war, aber gefunden hatte, dass diese an sie (über sie!!? oder über eine andere Frau? dieses Unruhemoment!!!) gerichteten Liebesgedichte von einem Charakter seien, der nicht nur der der Dichtung war, sondern auch etwas Erfundenem glich. Also aus dem Rahmen quoll . Vielleicht wurden die Gedichte erlebt, als seien sie klebrig, wie die Melasse, an der Grenze zum Geschwafel. Und als auf diese Weise ihr starkes Gefühl, ihre Aufgewühltheit über den Tod ihres Mannes, ihre Verzweiflung, ihre Verwirrung, weil die Gefühle des Ehemanns in dieser Form in Worte gekleidet waren, die Verse waren , ja vielleicht auch Gedichte, und ihr Misstrauen gegen das Hinzugedichtete zusammenkamen: Da hatte ihre Aufgewühltheit sich zu Entschlossenheit gesteigert.
    Sie hatte die Klappe des eisernen Herds in der Küche geöffnet, in dem das Feuer loderte wie fast immer morgens, wenn es so kalt gewesen war, dass der Urin im Pisseimer zu einem runden gelben Klumpen gefroren war, der hinausgetragen und in die Schneewehe geworfen werden musste (das Tragen der Pissklumpen war jedoch etwas später, etwa im Alter von sechs Jahren!), und sie also durch Befeuern des Herds Leben in ihre und des Kindes steifgefrorene Glieder bringen musste, und da hatte sie den Notizblock gegriffen und ihn mit einer heftigen Bewegung in den eisernen Herd gestopft, damit die Gedichte ihres Ehemanns Elof für immer in dem schonungslosen, aber reinigenden Feuer brennen sollten.
    Da war das Unfassbare eingetreten. Das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher