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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse
Autoren: Per Olov Enquist
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was du nach reiflicher Überlegung als richtig und wahr befandest. Aufrecht und mutig warst du in allen Lebenslagen. Jetzt sind deine Erdentage beendet. Du weilst nicht mehr unter uns. Du lässt uns nicht länger teilhaben am Reichtum deiner Persönlichkeit. Deine ansteckende Heiterkeit erreicht uns nicht mehr. Du spornst uns nicht mehr an mit deiner Begeisterung und deiner Hingabe. Wir, die dir nahestanden, wir, deine Freunde und Kameraden, werden dich immer als wirklich guten Freund in Erinnerung behalten. Allzu gering wurde nach menschlichem Ermessen deiner Tage Zahl. Die Leere, die du hinterlässt, ist herzzerreißend. Doch wir trauern nicht ohne Hoffnung um dich, wie es ja auch dein Wille war. Du hast, so glauben wir, das Bessere gewonnen. Ruhe in Frieden, bis zum Tag der Auferstehung.
    Man wundert sich. Zur Hilfe und Wegweisung? »das Bessere gewonnen«!
    Und damit sollte er zufrieden sein! War das alles? Und dieser bedrohliche Zusammenhang?
    Neun herausgerissene Blätter. Hatte wirklich etwas darauf gestanden? Ihre Leere wäre eine vollkommen ungerechte und unbegründete Anklage. Jetzt gäbe es gute Gründe, sich zu verteidigen. Er nimmt sich zusammen.
    Er erinnert sich an ein vom Vater hinterlassenes Trostwort, auf die Rückseite des Blocks geschrieben; die Mutter hat es nicht gesehen, sonst hätte sie auch dies herausgerissen, ja den ganzen Block verbrannt!
    Aber was für ein eigentümlicher Ton. Sind das wirklich ’em Elof seine Worte, bevor er starb? Es kann eine Daumenlosung gewesen sein, also eine auf gut Glück aus den Apokryphen aufgeschnappte Zeile. Aber was sagt er? Ist dies der Beginn einer Verneinung, wie die von Tante Valborg? »Die zeitliche Unsterblichkeit der Seele des Menschen, d.h. ihr ewiges Fortleben nach dem Tode, ist nicht nur auf keine Weise verbürgt, sondern vor allem leistet diese Annahme gar nicht das, was man mit ihr erreichen wollte. Wird irgendein Rätsel dadurch gelöst, dass ich ewig fortlebe? Ist denn dieses ewige Leben nicht dann ebenso rätselhaft wie das gegenwärtige?«
    Jetzt ist er wieder ruhig. Die Freunde am Ufer des Flusses nicken aufmunternd. Er wird dies in die Rede im Gemeindehaus einfügen. Dies war das Leben.

Kapitel 2
Das Gleichnis
von der zerknirschten Großkusine
    Noch nichts von der Frau auf dem astfreien Kiefernholzboden. Das Arbeitsbuch nur angefüllt mit Aufzeichnungen über die ungeborenen Früchte der Lust, über den Tod und die Sexualität.
    Unmöglich, sie ungekürzt in die Rede im Gemeindehaus einzufügen. Er bezeichnet die Texte deshalb als Totgeburten, von der Nabelschnur erdrosselt, wie der tote Bruder, doch ohne Nebenabsicht.
    Man konnte sich ja seine Gedanken machen über die einen, die zerknirscht waren und durchdrehten, und die anderen, die sich mutig im Befreiungskampf erhoben und wie Tante Valborg wurden und deshalb Vorbild, wenn auch teilweise am Boden.
    Dies zum Befreiungskampf und den Vorbildern.
    Er hatte ja als Kind ziemlich wenige Geburtsbücher: also Bücher, die felsenfest zur Geburt im Glauben führten, die das letzte Hindernis waren auf dem Weg zu der Frau auf dem astfreien Kiefernholzboden und dem, was nachher geschah, also nach ihr, aber vor den späteren Katastrophen. Die gängigsten Geburtsschriften waren Robinson Crusoe, dann die Bibel, besonders das Alte Testament, mit diesen furchtbaren Schlachten, die ihn so erregten und aufpeitschten, dass er eigentlich nie bis zum Neuen gelangte.
    Denn das Neue Testament war wie die Magermilch, dünn und fromm und gefügig. Es war das Alte, das aufwühlte.
    Aber dann gab es Kiplings Erbauungsbuch Kim .
    Es war unbegreiflich, wie die Mutter in den Besitz dieser Schrift gelangt war. Konnte sie das Buch in einer Bibliothek gestohlen haben? Nein. Weg damit! Vielleicht hatte sie es gedankenlos auf dem Seminar in Umeå erobert, in der Zeit, als sie auf »Feten« ging – laut Tagebuch, nie näher erläutert! – und da als junge Seminaristin vielleicht lauer im Glauben und heiterer gestimmt war? Und als die Einsamkeit diese laue Glaubensgewissheit noch nicht zur Hitze hatte hochkochen lassen?
    Auch kam in Kim an keiner einzigen Stelle der Erlöser vor, in dieser Erbauungsschrift über Spionage und orientalische Mystik. Die Botschaft Christi erschien auf keiner einzigen Seite. Aber gelesen hatte sie es, mit Unterstreichungen! Doch hatte sie den Sohn nicht gewarnt, bevor sie, allzu spät, einsah, dass die Sünde auch hier ansteckte, und das Buch in der Speisekammer wegschloss, ganz oben.
    Und
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