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Wer nach den Sternen greift

Wer nach den Sternen greift

Titel: Wer nach den Sternen greift
Autoren: Barbara Bickmore
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1
    P feifend marschierte Frank Curran durch den schmelzenden Schnee. Er war auf dem Weg zu dem schönsten Mädchen in Kansas, um sie zu fragen, ob sie ihn heiraten wolle. Wahrscheinlich war sie sogar das schönste Mädchen westlich des Mississippi. Das schönste Mädchen im ganzen Westen. Vielleicht auch das schönste Mädchen in Amerika. Oder das schönste Mädchen auf der ganzen Welt.
    Sie liebte ihn, das wusste er. Und die blasse Märzsonne machte ihm Mut, denn er war sich nicht ganz sicher, wie die Antwort ausfallen würde.
    Wenn er sie fragt, ob sie ihn diesen Sommer heiraten wolle, würde sie ja sagen. Aber das wollte er sie nicht fragen. Er wollte sie bitten, noch zu warten.
    Sein Bruder Ethan sagte, kein Mädchen, das so hübsch und so süß war wie Annie Phelps, würde so lange warten. Na ja, Ethan dachte ja auch, dass jeder Mann in Hillsboro (was ein komischer Name war, weil es im Umkreis von hundert Meilen keinen Hügel, noch nicht einmal einen Erdhaufen gab) nachts von Annie träumte. Und er gab zu, dass sogar er, obwohl er schon verheiratet war und seine Frau liebte, von Annie träumte. Und eine Frau, die an jedem Finger zehn Verehrer haben konnte, würde einfach nicht so lange warten, bis sie heiratete.
    »Um Himmels willen«, hatte er zu Frank gesagt, »du willst sie bitten zu warten, obwohl du selber nicht weißt, wie lange.«
    »Nur, bis ich reich bin«, hatte Frank erwidert.
    Der Bruder hatte die Augenbrauen hochgezogen und ihn angeschaut. Ethan war siebenundzwanzig, sechs Jahre älter als Frank, und arbeitete bereits seit fünf Jahren bei der Bank in der Stadt. Abgesehen von seiner Tochter hatte er noch zwei Söhne, und einer kam bald in die Schule. Für ihn war Frank schon immer der Träumer in der Familie gewesen, und er fand, mit einundzwanzig Jahren sollte er langsam mal zu Verstand kommen. Nicht, dass Frank keinen besaß, nein, er war sogar äußerst intelligent, aber er hatte eben einen Hang zum Träumen. Er schrieb sogar Gedichte für Annie, die sie, ein rosa Band darum herum, in einer Schublade aufbewahrte.
    Insgeheim bewunderte er Frank eigentlich. Ethan selbst träumte nicht allzu viel, weil in seinem Kopf immer nur Zahlen und Fakten umherschwirrten. Vermutlich machte ihn das langweilig. Frank hingegen war nie langweilig.
    Er hätte auch gerne so ausgesehen wie Frank, der über eins neunzig war, während Ethan es gerade mal auf einen Meter siebzig brachte. Es mochte ja sein, dass jeder Mann im Umkreis von zwanzig Meilen von Annie träumte, aber Ethan wusste auch mit absoluter Sicherheit, dass jedes Mädchen im Bezirk ein Auge auf Frank geworfen hatte. Allerdings hatte er keines jemals beachtet, denn schon als Sechzehnjähriger hatte er gewusst, dass er Annie Phelps heiraten würde, und etwas anderes kam für ihn gar nicht in Frage. Es machte ihm auch nichts aus, dass sie immer größere Fische fing als er, schneller rannte oder fast so schnell rechnen konnte wie Frank. Er regte sich noch nicht einmal auf, wenn sie Fasane und wilde Truthähne mit einem einzigen Schuss erlegte. Frank grinste immer nur vor Stolz, weil dieses Mädchen in allem besser war als andere, und er lachte, wenn sie jemanden, auch ihn, in den Schatten stellte.
    Er hatte die Süße ihrer Küsse geschmeckt, zum ersten Mal mit sechzehn Jahren, und er wusste, dass das noch nie jemandem vergönnt gewesen war.
    Ethan schüttelte den Kopf. »Sie wird nie im Leben auf ihn warten«, sagte er zu sich. Am liebsten hätte er darauf gewettet.
    Es war halb vier Uhr an jenem Märznachmittag, und die blasse Sonne hatte noch nicht viel Kraft, als Frank durch den schmelzenden Schnee stapfte. Aber langsam wurden die Tage länger, und Franks Herz tat einen Satz, als er das erste Rotkehlchen im Jahr sah. Es saß auf einem kahlen Ast und flog noch nicht einmal weg, als er näher kam, und dann hörte er auch noch eine Lerche singen. Das war ein gutes Zeichen, denn es gab nichts Hübscheres als den Gesang einer Feldlerche.
    Platschend trat er in eine Pfütze. Der Winter war zu Ende. Natürlich konnte es immer noch Neuschnee geben, aber der würde nicht mehr lange liegen bleiben.
     
    Endlich kam das Haus der Phelps in Sicht. Es war ein weitläufiges Gebäude, dessen Farbe bereits abblätterte, aber Frank wusste, dass Mr. Phelps es diesen Sommer streichen würde. In Kansas gab es im Winter so heftige Schneestürme, und im Sommer war es so heiß, dass die Farbe auf den Holzwänden nicht lange hielt. Aber an den Fenstern hingen hübsche,
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