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Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft
Autoren: Arena
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zahlen‹, sagte Mutter zaghaft.
    ›Das wird sich finden. Ist Ihr Mann krank?‹
    Mutter wurde rot. Schließlich stieß sie hervor: ›Wissen Sie, ich bin Frau Waldhoff.‹
    ›Waldhoff?‹ Der Meister kniff die Augen zusammen und pfiff mit spitzen Lippen. ›Hm. Was machen wir denn da? Moment mal.‹
    Er schien zu überlegen, sah sich noch einmal die Steinstücke an, die unter meinem Schlag auseinandergesprungen waren, als ob er darin eine Antwort lesen könnte, und sagte schließlich: ›Es ist ganz einfach, Frau Waldhoff. Wir schieben die Entscheidung auf, bis Ihre Angelegenheit sich erledigt hat. Der Junge gefällt mir. Ich hoffe, dass wir ihn später einstellen können.‹
    Wir haben nichts mehr sagen können. So ähnlich geht es uns oft. Die Leute sind zwar ganz nett, aber sie wollen nichts mit uns zu tun haben.«
    »Und eure Verwandten?«
    »Nun, sie ertragen uns eben.«
    »Gehst du wieder zur Schule?«
    »Ja. Denk dir, ich bin in der achten Klasse. Dein Unterricht war gut.«
    Sie schwiegen eine Weile. Dann forderte Sigi: »Jetzt bist du an der Reihe.«
    »Bei mir gibt es nur eine wichtige Neuigkeit: Ich gehe nächstes Jahr Ostern auf die Präparandie. Wir haben eine Zusage bekommen. Mein Zeugnis war endlich einmal so, dass sogar Vater zufrieden war. Ich musste mich vorstellen. Mutter ist mit mir hingefahren. Erst habe ich ein wenig Angst in der Kehle gespürt, als wir in den großen Backsteinbau eintraten. Er sieht so aus wie unsere Schule in groß. Nur der Geruch, der ist noch aufdringlicher. So ähnlich wie im Siechenheim riecht es da. Der Direktor trug einen riesigen Schnurrbart. Tausend Dinge wollte er von mir wissen. Ich glaube, er war mit dem Ergebnis der Prüfung nicht zufrieden. Jedenfalls schaute er mich ziemlich traurig an. Wie ein Seelöwe sah er aus. Dann fragte er mich: ›Warum willst denn ausgerechnet du Lehrer werden?‹
    Was soll man auf solche Frage antworten? Ich weiß heute selber nicht mehr, was plötzlich in mich gefahren ist. Ich habe ihm eure ganze Geschichte erzählt. Auch, dass ich dir alles beigebracht habe, was wir in der Schule Tag für Tag lernten. Dass ich von da ab notgedrungen aufpassen musste und natürlich alles konnte, weil ich es zweimal am Tag gekaut habe. Zum Schluss habe ich ihm gesagt, ich wollte Lehrer werden, weil ich, nun, weil ich eben nicht will, dass eure Geschichte noch einmal hier in dieser Stadt geschehen soll.
    ›Hat dir das dein Vater erzählt?‹, fragte er mich da und stand hinter seinem Schreibtisch auf. Er sah richtig böse aus. Mutter sprang auf und redete aufgeregt auf ihn ein, er solle doch mein dummes Geschwätz nicht ernst nehmen, nein, ihr Mann werde doch dem Jungen nicht solche Flöhe ins Ohr setzen. Da brachte er sie mit einer Handbewegung zum Schweigen, stapfte hinter seinem Schreibtisch hervor, fasste mich vorn an meinem Kragen und sagte: ›Und wenn du im Rechnen mangelhaft hast, Bursche, dich nehme ich.‹ Doch schnell verbesserte er sich: ›Aber den Hosenboden ziehe ich dir stramm, wenn du dich mit einer solch schlechten Zensur hierher wagst.‹«
    »Meinst du das denn wirklich im Ernst, Karl, das mit unserer Geschichte?«
    »Niemand kann so etwas im Spaß sagen, Sigi. Das jedenfalls habe ich von Vater gehört und auch begriffen: Was heute euch geschehen ist, das kann sich morgen bei einem anderen wiederholen. Man muss das alles von einer höheren Warte aus sehen.«
    Sigi lachte in sein Kissen hinein.
    »Lachst du mich aus?«
    »Du redest wie Coudi.«
    »Was meinst du?«
    »Na, das mit der höheren Warte und so.«
    »Ich erzähle dir überhaupt nichts mehr.«
    »Aber auf die ›höhere Warte‹ gehst du doch hoffentlich bald mit mir. Ich möchte wirklich von da aus einmal alles sehen.«
    Da lachte Karl auch.
    »Wie spät mag es sein? Es ist bestimmt bald zehn.«
    »Wir hören die Uhr vom Turm her ja schlagen.« Sie redeten noch dies und das, lauschten auf den Glockenschlag, und endlich, gerade als sie überlegten, ob die Uhr vielleicht doch stehen geblieben sei, da schlugen die Klöppel an, vier scheppernde Töne, dann zehn volle, tiefe Schläge.
    »Ob alles schläft?«, fragte Sigi.
    »Ganz bestimmt. Komm, wir ziehen uns an.«
    Leise, ganz leise stiegen sie in ihre Kleider, vergaßen auch nicht, die Jacken überzuhängen, schlichen durch das nachtdunkle Haus, durch den Stall und hielten sich auf der Straße in den tiefen Schatten der Mauern und Häuser. Erst als sie zum Kirchplatz hin einbogen, atmeten sie auf. Hier, unter den alten
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