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Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft
Autoren: Arena
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»mit denen bekommt man vor der Zeit graue Haare.«
    Sie wunderte sich, dass Karl an diesem Abend noch unbedingt zur Großen Kirche wollte, und war ein wenig gerührt, dass er mit seiner Freude geradewegs dorthin ging. Doch sie behielt mit ihrer Vermutung nur zum Teil recht. Karl kniete lange im Dämmerlicht und betete. Er hatte sogar fünf Pfennig für eine Kerze in der Tasche gefunden und sie vor der Muttergottesstatue entzündet. Auf den Gedanken aber, dass er heimlich den Schlüssel, der stets von innen im Schloss der Turmtür steckte, abzog und in seiner Tasche verschwinden ließ, wäre Frau Ulpius wohl schwerlich gekommen.
    Am nächsten Morgen ließ Frau Ulpius sich von Karls Erwartung anstecken.
    »Möhren isst er gern, aber kein Schweinefleisch, Mutter, kein Schweinefleisch.«
    Sie wehrte ihn lachend ab.
    »Lass mich nur machen, Karl. Er wird schon zufrieden sein, dein Sigi.«
    Lange vor der Zeit stand Karl vor Waldhoffs Haus. Doch er war nicht der Erste. Viele Menschen waren auf den Beinen. Niemand wollte das Schauspiel versäumen. Schließlich hörte man die Lokomotive pfeifen. Wenige Minuten später tauchte zwischen den Bäumen ein Schwarm von Leuten auf. Erst allmählich erkannte Karl die verschiedenen Gruppen. Vorweg marschierten Soldaten in blauen Uniformen und blanken Helmen. Sie hatten die Seitengewehre aufgepflanzt. Der Stahl blitzte in der Sonne. Richter, Geschworene, Anwälte, Gutachter, Zeugen. Erst als sie ganz nahe waren, entdeckte Karl die Waldhoffs. Die Frauen gingen vorn. Ruth hielt den Nacken steif und sah in die gaffende Menge. Ab und zu grüßte sie deutlich, wenn sie an Nachbarn oder Mädchen aus ihrer ehemaligen Schulklasse vorbeiging. Nur scheu wurde ihr Gruß erwidert. Er schien Verlegenheit auszulösen. Frau Waldhoffs Rücken war gebeugt. Klein und schwer hing sie in Ruths Arm. Waldhoff selbst war gealtert. Aus seinem mageren Gesicht stach die Nase groß hervor. Die Augen wanderten unstet umher. Die lange Haft hatte seine Haut blass werden lassen. Er sah fremd aus. Die Leute hatten ihn anders in Erinnerung.
    Sigi, aufgeschossen und ein wenig schlaksig, spähte umher. Doch Karl, der nur durch eine schmale Spalte zwischen Herrn Huymann und Herrn Dreigens die Straße übersehen konnte, musste erst rufen: »Sigi, Sigi, hier stehe ich!«, bis Sigi ihn erblickte. Schnell drängte sich der Junge durch die Soldatenreihe und rannte zu Karl hinüber. Die Soldaten ließen ihn gewähren. Karl drängte sich nach vorn und ging Sigi entgegen. Er streckte ihm die Hand entgegen, doch Sigi lief stürmisch auf ihn zu und umarmte ihn.
    Ohne jede Feindseligkeit und nur der Neugier nachgehend, verfolgten die Zuschauer das emsige Treiben, das nun einsetzte. Ein makabres Spiel rollte ab. Ein Kind lief bei Waldhoffs vorbei, der Arm eines Soldaten fuhr durch den Türspalt und zog es ins Haus. Kräfting bezeichnete die Stelle, von der aus er es so gesehen haben wollte. Die Geschworenen baten darum, die Szene zu wiederholen. Sie wiegten die Köpfe. War es möglich, auf solch eine Entfernung sicher zu sein, welches Kind gegriffen worden war? Konnte der Zeuge sich nicht irren? War überhaupt ein Kind in das Haus gezerrt worden oder vielmehr in den angrenzenden Pfortenweg? So weitläufig jedenfalls hatten sich die meisten Geschworenen den Ort nicht vorgestellt. Sie machten sich Notizen.
    Dann wurde Mehlbaums Stube besichtigt. Vom Fenster aus sahen die Männer die wenigen Meter Hof, die Mehlbaum überblicken konnte. Ruth wurde gebeten, den Hof zu überqueren. Sie tat es. Auch andere Mädchen huschten über den schmalen Streifen. Doch Mehlbaum spähte scharf durch seine Brille und kannte Ruth heraus.
    Aber war das nicht etwas ganz anderes heute als damals? Vor einem Jahr hatte doch diese kurze Begebenheit, falls sie wirklich geschehen war, für Mehlbaum keinerlei Bedeutung. Ein Mädchen geht über den Hof. Gut. Aber was soll’s! Erst Tage später fällt Mehlbaum ein, was das heißen konnte. Jetzt erst fragt er sich: War es Ruth? War es wirklich um die Zeit? Trug sie irgendetwas? Die Geschworenen nehmen Mehlbaums Aussage zur Kenntnis. Sie hören auch den Bürgermeister. Er nennt Mehlbaum einen Schwätzer. Aber ob seine Aussage stimme, dazu könne er nichts sagen. Als Lügner sei Mehlbaum ihm nicht bekannt. Die Fruchtscheune wird besichtigt. Nora weist auf den Fleck auf dem festgestampften Lehmboden, ein dunkler Schatten des Blutes. Der Arzt erläutert noch einmal seinen Bericht. Dann gibt er eine Erklärung ab. Es
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