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Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Ort gewesen war, lief ihm das Gerede nach bis in sein Grab.
    »Ach, vielleicht ist Jean in das Häckselmesser gefallen.«
    »Er hat oft geschaukelt.«
    »Vielleicht ist er abgerutscht.«
    So tauschten sie diese und jene Vermutung mit den Dreigens. Da kam Franz Nigge durch den Pfortenweg zurück. »Der Doktor ist da. Sie haben uns alle weggeschickt. Aber es stimmt. Der Junge ist ermordet worden, so wahr ich Nigge heiße, er ist ermordet worden.«
    »Kann er nicht in das Häckselmesser gefallen sein?«, fragte Waldhoff.
    »Unsinn. Das Messer stand in der Ecke. Und stumpf ist es auch. Man kann drauf nach Köln reiten.«
    Franz Nigge grüßte kurz und ging weiter.
    »Wir müssten eigentlich zu Sellers«, sagte Frau Waldhoff. »Ich weiß ja, was es heißt, Kinder zu verlieren.«
    Waldhoff tastete nach ihrer Hand. Drei Kinder waren ihnen im Grippewinter vor sieben Jahren gestorben. Seine Frau war niemals darüber hinweggekommen.
    »Ja, Hannah, lass uns das tun.«
    »Aber wo steckt Ruth?«
    »Sie ist noch ein wenig zu Gerd gegangen. Lass sie nur. Um acht ist sie wieder zurück.«
    Sie bogen um die Ecke. Lärm schallte aus Schyffers’ Gaststube. Die Wirtschaft war voller Neugieriger. Huymann stand vor der Tür und winkte Waldhoffs zu. »Kommt doch auch herüber!«, rief er. Doch Waldhoff deutete mit dem Daumen auf Sellers Haus. Sie traten ein.
    Im Flur war es dämmerig und kühl. Frau Waldhoff kannte den Weg und fand ohne Mühe die Tür zur Küche. Sie klopfte. Frau Seller hockte auf der Bank hinter dem Tisch. Als sie Waldhoffs erkannte, beugte sie ihren Kopf in die Arme und schluchzte. Gerd Seller saß beim Ofen und rührte sich kaum. Drei kleinere Kinder spielten in der Ecke am Fenster. Frau Waldhoff setzte sich zu der Nachbarin und strich ihr über den Rücken, sanft tröstend. Wieder öffnete sich die Tür und die Schwester der Frau Seller betrat die Stube. Die beiden Frauen umarmten sich. Etwas ruhiger begann Frau Seller zu erzählen, stockend und oft vom Weinen unterbrochen. »Mein Magen, mein Magen«, hörte Waldhoff sie stöhnen. Da gab er Sigi einen Groschen und schickte ihn zu Schyffers Natron holen. Er wusste, dass Natron der Frau ein wenig helfen konnte.
    »Die Polizei und der Bürgermeister sind bei Schyffers«, tuschelte Sigi seiner Mutter zu, als er seinen Auftrag erledigt hatte. Waldhoff löste ein Löffelchen Natron in Wasser auf und reichte Frau Seller das Glas über den Tisch hin. Eine Weile blieben Waldhoffs noch, doch bald spürten sie, wie wenig nachbarlicher Trost vermag, und verabschiedeten sich. Sie blieben vor ihrer Haustür stehen, denn die Hitze des Tages hing noch in den Häusern. Dieser und jener kam die Mühlenstraße entlang und blieb ein wenig. Immer wieder wurde das traurige Ereignis besprochen. Vermutungen wurden laut, dass die Kinder vielleicht »Öchschenschlachten« gespielt hätten. Frau Waldhoff berichtete, wie Sigi vor Jahren mit einem großen Schlachtmesser ihres Mannes herumgefuchtelt habe. Ihr sei damals ganz anders geworden.
    Im Laufe des Abends wurden die Einzelheiten des Todes bekannt und die sonderbarste war, dass bei der Leiche kaum Blut zu sehen gewesen sei. Erst als es dunkel wurde, ging einer nach dem anderen in sein Haus.
    Waldhoff fand lange keinen Schlaf. Mitternacht war längst vorüber, als er schließlich merkte, dass auch seine Frau kein Auge zugetan hatte. »Hannah?«
    »Ja.«
    »Wie war das damals mit deinem Vater?«
    »Nun, ein Kind wurde getötet. Wir kannten es nicht einmal. Es wohnte zwar in unserer Gegend, aber in einer großen Stadt, wer kennt da alle Kinder?«
    Sie schwieg eine Weile und legte den Kopf ein wenig höher, damit ihr das Atmen leichter wurde. »Sie fanden keinen Täter. Du weißt, wie schlimm das für uns ist. Schließlich bleibt es am Zigeuner oder am Jud hängen. So war es auch damals.«
    »Aber dein Vater konnte doch nachweisen, dass er am Mordtag gar nicht in der Stadt gewesen ist.«
    »Natürlich konnte er das nachweisen. Aber die Menschen wollen keinen Nachweis, sie wollen einen Täter. Und zwar einen, der irgendwie anders ist als sie, der sich ein wenig von ihrer Gemeinschaft abhebt. Sei es auch nur, weil er ihren Glauben nicht teilt. Die Blicke, ängstliches Ausweichen auf dem Bürgersteig, das Ausspucken, die Furcht in den Augen der Kinder, die Bekannten ziehen sich allmählich zurück, die Geschäfte liegen darnieder …«
    Wieder schwieg sie lange und schluckte an den Tränen.
    »Das ist schlimmer als Urteil und Gefangenschaft,

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