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Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft
Autoren: Arena
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weißt du. Mein Vater hat es nur wenige Jahre ertragen. Er ist vor dieser Wirklichkeit in den Tod geflohen. Nicht, dass er den Strick genommen hätte oder in den Fluss gegangen wäre, nein, Sorgen, Missachtung, Einsamkeit inmitten der Menschen haben ihm den Atem genommen. Eines Tages konnte er nicht mehr aufstehen. Die Ärzte zuckten die Achseln und gaben ihn schließlich auf, so wie er sich schon lange aufgegeben hatte.«
    Hannah richtete sich auf. Er sah ihren Schatten scharf vor dem nachthellen Fenster. »Hoffentlich finden sie den Mann, der Jean umgebracht hat.«
    »Irrsinn«, sagte Waldhoff und drehte sich auf die Seite. »Kein Ding geschieht zweimal.« Doch in seinem Herzen zitterte Furcht vor dem neuen Tag.

2
    In der Schule schwirrten die Gerüchte durch die Klassen. Die Kinder scharten sich in den Pausen immer wieder um Hermine Schyffers und Sigi Waldhoff. Das Bekannte war schnell erzählt. Jean war gegen elf zum letzten Mal gesehen worden. Er hatte im Pfortenweg gespielt. Von da an blieb er verschwunden. Zuerst hatte die Mutter geglaubt, er sei bis an die Landstraße gegangen. Dort waren die süßen Kirschen reif. Die Kinder der Stadt betrachteten diese Bäume seit eh und je als ihr Eigentum.
    Der Polizist, ein zugewiesener Preuße, mochte anderer Meinung sein, aber ihm gingen sie aus dem Wege. Schließlich hielt er nicht den ganzen Tag Kirschenwache. Es war jedenfalls nichts Neues, dass diese Ernte nie versteigert werden konnte, weil zum festgesetzten Termin Kinder und Stare nur so wenig Kirschen übrig gelassen hatten, dass es sich nicht einmal lohnte, eine Leiter herbeizuschaffen.
    Aber bei den Kirschen war Jean nicht. Als die Mutter ihn bei den Nachbarn suchte, da fand er sich weder bei Schyffers noch bei Nigges und nicht bei Huymanns. Auch bei Mehlbaums und Waldhoffs hatte niemand ihn nach elf Uhr gesehen.
    Schließlich durchstreiften seine Geschwister die Straßen. Die Vermutung kam auf, er sei wegen der Hitze mit zum Rhein gegangen, doch niemand wusste Genaueres. Auch wollte dieser oder jener zwei Landstreicher in der Mühlenstraße gesehen haben, doch die waren gekommen und gegangen, wie das bei fahrendem Volk eben ist.
    Die schreckliche Nachricht von dem Tod des Jungen hatte all diesen Gerüchten ein schnelles Ende bereitet. Aber gleich blähten sich neue auf. Wer war der Täter? Nach mancherlei Erwägungen kamen am ehesten die Landstreicher in Betracht. Die Kinder ließen ihrer Fantasie freien Lauf, zumal Hermine Schyffers wenig berichtete. Ihr Vater und der Lehrer hatten ihr den Mund verboten. Umso begehrter war das, was Sigi wusste, der als einer der ersten die Nachricht vernommen hatte und der in unmittelbarer Nachbarschaft der Fruchtscheune wohnte, in der Nora den kleinen Jean gefunden hatte.
    Sigi hatte einmal, zweimal berichtet, was ihm zu Ohren gekommen war, doch als die Gier nach seiner Geschichte nicht nachließ, kam er auf den Gedanken, nur noch gegen Bezahlung zu wiederholen, was sich in den Abendstunden des vorangegangenen Festtages ereignet hatte.
    So glitt in den Pausen allerlei Kindergut in seine Hände: weißer und brauner Kandiszucker, eine Handvoll Kirschen, frisch an der Landstraße gepflückt, ein beinahe neuer Lederriemen, ein gepresstes vierblättriges Kleeblatt …
    Diese begehrten Schätze machten Sigis Bericht von Mal zu Mal farbiger. Das blühende Geschäft fand erst seinen unrühmlichen Abschluss, als Lehrer Coudenhoven davon erfuhr und Sigi wegen dummen Geschwätzes mit seiner fingerdicken Haselrute drei Streiche über den Hosenboden zog. Von da an schwieg auch Sigi. Erst auf dem Heimweg, als sich sein Freund Karl zu ihm gesellte, besprach er mit ihm noch einmal die ganze Geschichte, aber einen Täter fanden auch sie nicht.
    »Wo bleibst du so lange?«, fuhr ihn die Mutter an, als er in den Laden trat.
    »Ich war bei Karl.«
    »Warte hier. Der Bürgermeister ist im Hause. Er will mit dir sprechen.«
    »Der Bürgermeister?«
    »Sag ihm alles, was du weißt. Aber denk nach, bevor du sprichst.«
    Im hinteren Zimmer brummten die Stimmen der Männer, doch was gesprochen wurde, war nicht zu verstehen. Endlich wurde Sigi gerufen. Waldhoff hatte einen roten Kopf und eine steile Falte saß zwischen den Augen.
    »Es ist ein Skandal«, schimpfte der Bürgermeister. »Am helllichten Tage wird ein Kind umgebracht, und keiner hat etwas bemerkt.« Er wandte sich dem Jungen zu.
    »Sigi, wann hast du den kleinen Jean zum letzten Male gesehen?«
    »Es war zu der Zeit, als die Leute aus
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