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Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft
Autoren: Arena
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Pumpe standen Hein Schyffers und Norbert Schmals. Sigi schlenderte zu ihnen hinüber. Sie verstummten, als er näher kam.
    »Was starrt ihr mich so an?«, fragte er.
    »Wir?« Sie blickten weg.
    »Komm, Hein, wir müssen nach Haus.«
    Sie liefen davon. Sigi lachte hinter ihnen drein. Ob Norbert noch Angst hat, weil er vorige Woche in unserm Hof einen Stein umgestoßen hat?, dachte er.
    Arglos übersah er die ersten Zeichen der Mauern, die rings um ihn emporwuchsen.

4
    Der 1. Juli war heiß und schwül. Die kurze Abkühlung, die das Unwetter am Tage vorher gebracht hatte, war von der Sommersonne weggebrannt worden. Die Straßen lagen längst wieder trocken. Nur in den Gartenwegen erinnerte hier und da eine schmutzig braune Pfütze an den Regen des Vortages. Die Leute hatten die Kellerfenster und Luken weit aufgesperrt, damit die Feuchtigkeit aus den Mauern auftrocknen konnte. Obwohl es ein Werktag war wie jeder andere, schien die Stadt ausgestorben. Waldhoff und Sigi sahen auf ihrem Weg zum Markt keinen Menschen.
    Waldhoff hatte seinen guten schwarzen Anzug angezogen, und Sigi war von Mutter in die Sonntagskleidung gesteckt worden.
    Die Turmuhr schlug elf, als Waldhoff seinen Sohn in eine Haustür zog. Die Menschen strömten aus der Großen Kirche, die Kinder zuerst, in langen Reihen, von den Lehrerinnen und Lehrern geführt, die Messdiener, das Kreuz voran, die Frauen und Männer und schließlich der weiße Sarg, von sechs Jungen getragen. Der Leichenzug wollte und wollte kein Ende nehmen. Die ganze Stadt schien sich verabredet zu haben an der Beerdigung des kleinen Jean teilzunehmen. Was die Frauen anging, so mochten wohl keine dreißig fehlen. Die Männer waren weniger zahlreich vertreten. Doch aus den Bruderschaften hatten sich viele einen Tag freigenommen, und das Grün und Weiß ihrer Uniformen brachte ein wenig Farbe in den düsteren Zug.
    Waldhoff und Sigi schlossen sich dem Trauerzuge an. Während die Männer auf dem Wege zum Friedhof die Perlen des Rosenkranzes durch die Finger gleiten ließen und sich auch wohl dies und das zuflüsterten, betete Sigi leise das Kaddisch-Gebet für den toten Jean, und auch Waldhoffs Lippen bewegten sich. Kurz hinter dem Wall bog der Leichenzug in den schmalen Weg zum Friedhof hin ein. Vor dem eisernen Gittertor fasste Waldhoff den Sohn bei der Schulter und hielt ihn zurück.
    »Warum?«, flüsterte Sigi.
    »Na, du bist schon so alt und weißt nicht, dass ein Jude keinen fremden Friedhof betritt?«
    »Doch, Vater.« Die Männer vor ihnen bemerkten das Zurückbleiben der beiden, und manch verwunderter Blick traf sie.
    »Wir gehen zu Onkel Kardow«, sagte Waldhoff.
    Dicht am Wall hatten Peter Kardow und seine Frau Katrin ihre Metzgerei. Waldhoff war gut bekannt mit den beiden alten Leuten und hatte schon manches schöne Stück Vieh an den Metzger verkauft.
    Er ging mit Sigi durch den hinteren Eingang gleich in die Küche.
    »Guten Morgen«, grüßten sie.
    Peter Kardow schaute über seinen Brillenrand hinweg, erkannte Waldhoff und ließ die Zeitung sinken.
    »Ah, Waldhoff. Du kommst gerade richtig.« Dann hob sich seine Stimme, und er rief zum Laden hinüber: »Komm, Katrin, stell noch zwei Tassen mehr auf den Tisch. Waldhoff ist da.«
    Katrin Kardow kam in die Küche, klein, schmal, ein blasses Mausgesicht, so ganz anders, als man sich eine Metzgersfrau vorstellt. Sie sah den schwarzen Anzug und fragte: »Ist die Beerdigung schon vorbei?«
    Noch ehe Waldhoff darauf antworten konnte, schallten über Friedhofsmauer und Wall hinweg die Stimmen der Kinder: »Wie des Feldes Blumen sind Menschen, all ihre Herrlichkeit ist wie Gras auf dem Felde.«
    Sie lauschten den verklingenden Tönen. Kardow zog seine Mütze vom Kopf.
    »Wahr ist es, wahr ist es«, brummelte er vor sich hin.
    Seine Frau goss den Kaffee ein. Fest presste sie die farblosen Lippen zusammen. Waldhoff und Sigi setzten sich.
    »Die Zeitung ist voll von dem Unwetter«, erzählte Kardow. »Im Klevischen und in Krefeld muss es noch toller gewesen sein. An der holländischen Grenze ist ein ganzes Anwesen mit allem Vieh verbrannt.«
    Waldhoff griff nach der Zeitung. Kardow aber redete und redete, wie es sonst gar nicht seine Art war, bis Waldhoff ihn schließlich ganz verwundert anschaute und fragte: »Hat Katrin dir heute schon einen Schnaps erlaubt, Peter? Du bist so gesprächig.«
    Da lachten sie beide. Waldhoff hielt gerade seine Tasse an die Lippen, als Frau Kardow, die bislang stumm am Tisch gestanden hatte, fragte:
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