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Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft
Autoren: Arena
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dem Hochamt kamen. Da spielte er auf unser Straße.«
    »Hast du mit ihm gespielt?«
    »Er ist klein, Herr Bürgermeister. Ich musste auch zu Schloters.«
    »Zu Schloters?«
    »Ja, ich sollte ihm das restliche Geld bringen.«
    Waldhoff schaltete sich ein: »Ich hatte Streit mit Schloters. Er hilft mir in der Werkstatt, die Grabsteine für die Juden zu schlagen.«
    »Warum gab es Streit?«
    »Ihm war es zu viel, an drei Tagen nichts verdienen zu können. Am Sabbat wird bei mir nicht gearbeitet, am Sonntag will ich es auch nicht. Gestern war Peter und Paul. Drei Ruhetage waren ihm zu lang. Er hat sein Geld verlangt. Sigi hat es ihm gebracht.«
    »Warum schickten Sie Ihren Sohn?«
    »Sigi hat sich mit Schloters gut vertragen. Der Junge will Steinmetz werden, und Schloters hat ihm manchen Griff gezeigt.«
    »Soso, Steinmetz. Aber den Jean, Sigi, den Jean hast du später nicht mehr gesehen?«
    »Nein, als ich zurückkam, war gar kein Kind mehr auf der Straße.«
    »Woher weißt du das noch so genau?«
    »Ich dachte mir: Die sind alle zu den Kirschen gegangen.«
    »Am liebsten hättest du sicher auch Kirschen gestohlen?«, fragte der Bürgermeister. Doch dabei spielten ihm die Lachfältchen um die Augen. Sigi antwortete nicht.
    Der Bürgermeister blätterte in einer Akte, seufzte, schlug den Deckel plötzlich zu und sagte: »Das andere weiß ich bereits. Ihre Frau und Ihre Tochter Ruth haben es ja berichtet.« Dann trat er näher an Waldhoff heran, der aus seinem Sessel aufgestanden war, und sagte: »Es ist eine scheußliche Sache, Waldhoff. Der Mehlbaum macht mit dummem Gerede die Leute wild. Überlegen Sie genau, wie Sie den gestrigen Tag verbracht haben, und schreiben Sie es auf. Sie wissen ja, wie leicht einer ins schiefe Licht geraten kann.«
    Damit griff er nach seinem Hut, grüßte Frau Waldhoff und trat auf die Straße. Verwundert blieben einige Frauen stehen, die gerade vom Markt kamen.
    »Was sucht der Bürgermeister beim Juden Waldhoff?«, fragte eine.
    Waldhoff schloss ärgerlich die Tür und sagte: »Da geht es schon los. Der Mehlbaum streut aus, dass wir Juden das Blut von Christenkindern brauchen. Sein Sohn, der Medizinstudent, habe es ihm gesagt.«
    »Blut? Wozu Blut, Vater?«, fragte Ruth.
    »Ach, weiß der Kuckuck. Dummes Geschwätz. Es wird gemunkelt, dass wir Juden das Blut benützen, um daraus Wein zu machen, den wir beim Passah-Fest trinken.«
    »Pfui! Eklig!«, rief Ruth und schüttelte sich. »Wie kann Mehlbaum sich so etwas Scheußliches nur ausdenken?«
    »Er hat sich das nicht selbst ausgedacht. Eine alte, schaurige Lüge ist es, die er da ausgräbt. Oft und oft ist sie erzählt worden. So sollen Juden am 19. April 1287 in der Gegend von Oberwesel am Rhein ein Kind namens Werner gequält und um seines Blutes willen schließlich zu Tode gebracht haben. Dabei ist dies nur eine von vielen ähnlichen Geschichten.«
    »Wenn Mehlbaum das wirklich glaubt, dann kann ich mir erklären, warum er und manche Menschen uns verachten«, sagte Ruth.
    Heftig antwortete Sigi: »Ich weiß nicht, was 1287 wirklich geschehen ist. Aber selbst wenn die schrecklichsten Lügen Wahrheit wären, was hat das mit uns zu tun? Hier kennen uns doch alle. Keiner wird uns einen Mord zutrauen.«
    »Ich hoffe das auch«, sagte Waldhoff.
    Später liefen Sigi und Karl zu den Kirschen.
    »Ist er weg?«, flüsterte Karl seinem Freund zu.
    »Ja, er geht zur Stadt zurück.« Die Jungen schoben die Zweige des Gebüsches ein wenig zur Seite und blickten dem Polizisten nach, der nach den Kirschbäumen gesehen hatte. Ein Knecht hatte die beiden gewarnt, und sie waren rechtzeitig in die Büsche geschlüpft.
    »Warum ist der Neue eigentlich so scharf hinter uns her, wenn wir in die Kirschbäume steigen?«, fragte Karl.
    »Mein Vater sagt, er habe nichts Rechtes in unserem Städtchen zu tun. Hier leben eben anständige Leute.«
    »Meiner sagt, dass die Kirschen den Kindern gehören, solange er denken kann.«
    »Soll er doch die beiden Landstreicher fangen.« Sigi saß bereits wieder im Baum und ließ sich die dicken Früchte gut schmecken.
    »Rot wie Blut«, sagte Karl. »Du, sie sagen, ihr Juden brauchtet Kinderblut.«
    »Quatsch! Großer Quatsch! Wozu sollten wir es wohl brauchen?«
    »Sie erzählen überall, dass ihr es für euren Passah-Wein nötig habt. Der kleine Jean soll einen Schächterschnitt gehabt haben. Was ist das überhaupt?«
    »Wenn Vater schlachtet, dann sticht er das Tier so ab, dass es ganz ausblutet. Wir dürfen kein Blut
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