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Ein Fall für Perry Clifton

Ein Fall für Perry Clifton

Titel: Ein Fall für Perry Clifton
Autoren: Wolfgang Ecke
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Dicki

    „Dicki!!“
    Kurz, scharf und schrill tönt Miß Carters Stimme. Mit wenigen Schritten hat sie das Klassenzimmer durchquert.
    Vor der letzten Bank bleibt sie ruckartig stehen. Die Brillengläser blitzen.
    Ihr rechter Zeigefinger schießt nach vorn.
    „Dicki Miller wagt es, während des Geschichtsunterrichtes zu schlafen!“
    Sie hat jedes Wort betont. Hart und schrecklich deutlich. Dabei zittern die Rüschen ihrer Bluse.
    Dicki hat sich erhoben.
    Dicki, zwölf Jahre alt, mit neunundzwanzig Sommersprossen über der Stupsnase, steht steif und starr. Seine Augen sind aufgerissen, und der Schreck spricht darin eine deutliche Sprache. Dicki fühlt Miß Carters Zeigefinger, der sich in seine Brust bohrt.
    „Dicki Miller wagt es wahrhaftig, während der Geschichtsstunde zu schlafen.“
    Miß Carter hat es noch einmal wiederholt, wobei sie bei jedem Wort ihren Zeigefinger mit Nachdruck nach rechts und links dreht.
    Dicki fährt sich mit der Zunge über die Lippen, bevor er leise antwortet:
    „Verzeihung, Miß Carter, ich habe nicht geschlafen.“
    „Ach..
    „Bestimmt nicht.“
    Miß Carters Stimme ist plötzlich sehr freundlich.
    „Seit wann hörst du denn mit geschlossenen Augen zu?“

    Dicki schluckt.
    „Das mache ich manchmal, Miß Carter.“
    „Merkwürdig, daß mir das nicht schon früher aufgefallen ist. — Dann wirst du mir sicher sagen können, was ich vor wenigen Minuten über Admiral Nelson sagte — oder?“
    Dicki schluckt noch zweimal, bevor er ansetzt:
    „Sie sagten, daß Admiral Nelson... daß Admiral Nelson ..
    Dicki weiß, daß er sich rettungslos verfahren hat. Da sieht er auch schon Miß Carters Gesicht auf sich zukommen.
    „Nichts habe ich über Admiral Nelson gesagt, Dicki. Kein Wort. Ich sprach nämlich über Napoleon Bonaparte. Dicki Miller, hast du mir etwas zu sagen?“
    Dicki hat nur einen Wunsch. Weit weg zu sein. Hundert Kilometer, tausend Kilometer. Am liebsten in Amerika. Doch während seine Hände verzweifelt an der Hosennaht auf und ab rutschen und seine Augen starr Miß Carters rechten Ohrring fixieren, weiß er, daß jetzt nur noch eins helfen kann: die Wahrheit.
    „Verzeihung, Miß Carter, ich habe gelogen. Ich war eingeschlafen.“
    Miß Carters Stimme ist jetzt noch freundlicher. Ja, sie lächelt sogar ein wenig.
    „Ist gut, Dicki. Kann ja mal Vorkommen. Aber...“ sie hebt den Zeigefinger, „es darf nicht. Du hast gestern gelesen?“
    „Ja, Miß Carter.“
    „Wie lange?“
    Dickis Stimme ist fast ein Flüstern.
    „Bis heute nacht um drei!“
    Miß Carter sieht Dicki für einen Augenblick an. Dann wiederholt sie fragend: „Bis heute nacht um drei?“
    Dicki nickt. Im Zimmer setzt ein Tuscheln ein. Vorn kichert einer.
    „Ruhe!“ Miß Carter läßt ihre Blicke über die Bänke gleiten. Dann wendet sie sich wieder Dicki zu.
    „Ein Buch?“
    Wieder nickt Dicki.
    „Wie heißt es?“
    „Der Fall Parbourgh. Es ist ein Detektivroman. Ich habe das Buch zum Geburtstag bekommen.“
    „Von deinen Eltern?“
    Dickis Augen beginnen mit einem Male zu strahlen. Auch die Brust streckt er jetzt mächtig vor.
    „Von einem Freund, Miß Carter.“
    „Soso, von einem Freund.“
    Miß Carter wirft einen Blick in die Runde.
    „Ist noch jemand hier, der bis nachts um drei Detektivromane liest?“
    Schweigen.
    „Hör zu, Dicki. Ich will es noch einmal vergeben. Noch einmal, sagte ich. Sollte sich so etwas wiederholen, muß ich deinen Eltern Bescheid sagen. Hast du mich verstanden?“
    Dicki ist erleichtert. Am liebsten würde er Miß Carter umarmen. Und im Brustton reiner Überzeugung sagt er: „Es wird bestimmt nicht wieder Vorkommen, Miß Carter.“ Und dann setzt er mit Stolz in der Stimme hinzu:
    „Ich habe das Buch auch schon ausgelesen.“
    In diesem Augenblick schrillt die Glocke. — Große Pause.

    Dicki Miller und Ronnie Hastings haben den gleichen Weg. Gemächlich trotten sie nebeneinanderher.
    Und zum drittenmal bohrt Ronnie:
    „Gib doch zu, daß du das Buch von deinem Superdetektiv gekriegt hast.“
    Dicki blickt seinen Nebensitzer zornig an. Gekränkt blitzen seine Augen, als er sagt:
    „Du bist ja bloß neidisch, weil du nicht so einen Freund hast!“
    „Pah!“
    „Und wenn du’s genau wissen willst — er hat es mir geschenkt! 10 Shilling hat es gekostet. Ich hab’s in einer Buchhandlung gesehen.“
    Ronnie zuckt verächtlich mit den Schultern. „Na, wennschon.“
    „Ich sage dir, Ronnie, Perry ist der größte Detektiv von London... von ganz
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