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Erzähl mir von morgen

Erzähl mir von morgen

Titel: Erzähl mir von morgen
Autoren: Christina Seidenberg
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Dienstreise nach Washington zu begleiten, sagte ich zu. Zu dieser Zeit hielt mich nichts mehr in Boston.
     
     
    Ich war drauf und dran abzuwägen, welche Konsequenzen auf mich zukommen würden, wenn ich einfach allein und auf eigene Faust das Krankenhaus verlassen würde, als die Tür zu dem Untersuchungsraum aufgerissen wurde.
    Mein Kopf schnellte hoch. Ich hatte nicht so schnell mit ihm gerechnet, doch als er nun vor mir stand, schluckte ich schwer.
    Er trug Jeans und ein ausgewaschenes T-Shirt unter einer Lederjacke. Seine dunklen Haare schienen vom Schlaf zerzaust, doch ich wusste, dass sie immer ein wenig wirr aussahen, da sie sich nicht bändigen ließen. Seine Sneaker waren abgewetzt und er erinnerte mich in diesem Moment so sehr an den jungen Mann, den ich damals aus meinem Leben gedrängt hatte.
    Obwohl ich mich von ihm ferngehalten hatte, konnte ich sein Leben in den Zeitungen verfolgen. Als wir auseinander gegangen waren, stand er kurz vor dem Ende seines Jurastudiums. Er hatte es summa cum laude einige Wochen später abgeschlossen. Ich hatte eine Einladung zu seiner Abschlussfeier erhalten, war aber nicht hingegangen. In den vergangenen Jahren war er zu einem sehr angesehenen Staatsanwalt geworden, über den in Zeitungen oft berichtet wurde.
    Ich musste mich verbessern, es wurde nur am Rande von ihm berichtet. Seine Bekanntschaften waren das interessanter e Thema der Klatschpresse, denn immerhin war er der bekannteste und begehrteste Junggeselle in Boston.
     
    Seit Jahren hatten wir keinen Kontakt mehr gehabt und nun war er hier. Wie sollte ich das Gespräch beginnen?
    „Greta!“ Langsam kam Nate auf mich zu und musterte mich aufmerksam. Seinen Gesichtsausdruck konnte ich genau lesen. Ich hatte mich selbst im Spiegel angesehen.
    Vorsichtig rutschte ich von der Liege, nahm meine blutige Jacke und die Überbleibsel meiner zerrissenen Handtasche, die mir die Diebe gelassen hatten. Mein Portmonee und mein Handy hatten sie mitgenommen, doch mein Schlüssel sowie einige Kleinigkeiten aus meiner Tasche waren bei unserer Rangelei zu Boden gefallen.
    „Ich möchte nach Hause“, sagte ich leise und blickte zu Boden.
    Es schien mir, als wäre es einfacher seine Sneaker anzusehen, als ihm in die Augen zu blicken. Selbst jetzt, nach so vielen Jahren, saß die Scham noch immer tief in mir und ich wollte dieses Treffen einfach so schnell es ging hinter mich bringen.
    Vorsichtig humpelte ich an ihm vorbei und trat auf den lauten Gang der Notaufnahme. Die Schwester kam eilenden Schrittes vorbei und wirkte überrascht über meinen Bekannten.
    „Wie schön, dass Sie abgeholt werden!“ sagte sie und warf Nate einen schmachtenden Blick zu.
    „Vielen Dank, dass Sie sich um Miss Thomson gekümmert haben!“ sagte er und lächelte sie einnehmend an. Sie gab ihm noch einige Medikamente für mich mit. Dann legte er mir fürsorglich die Hand auf den Rücken und führte mich sicher durch die Menschenmassen zum Ausgang.
     
    Ich atmete kurz die kalte Abendluft ein, als wir vor dem Krankenhauseingang ankamen. Sie tat meinen Kopfschmerzen gut, doch die Prellungen würden mich sicher noch einige Tage daran erinnern, warum die Großstadt ein gefährliches Pflaster war.
    „Ich w-werde ein … T-taxi rufen!“ sagte ich stotternd. Mein Sprachfehler, bei bekannten und normalen Situationen fast verschwunden, war nun deutlich zu hören. Ich wusste nicht, ob es an Nates Anwesenheit oder an meinem Zustand lag, doch ich hasste mich mal wieder dafür, dass ich nicht selbstsicher war.
    „Kommt nicht in Frage, Greta!“ sagte Nate sanft, doch bestimmt. „Ich werde dich nach Hause fahren!“
    Ich wusste, dass ich mich dagegen wehren sollte, doch ich war vollkommen erschöpft und müde und wollte einfach nur in mein Bett fallen. So ließ ich es zu, dass er mich zu seinem Auto führte, mir half einzusteigen und mich dann durch das nächtliche Boston zu meiner Wohnung fuhr. Ich war ihm sehr dankbar, dass er nicht sprach. Schweigen war immer noch besser, als irgendwelche Fragen über den heutigen Abend oder den vor sieben Jahren.
    Ich sah hinaus in die Nacht und ließ die Stadt einfach an mir vorbeiziehen. Es erschütterte mich, dass ich in Boston, wo ich mich immer so sicher gefühlt hatte, nun doch ein Opfer der Kriminalität geworden war.
     
    Ich bemerkte erst, dass er wusste, wo ich wohnte, als er vor dem Block parkte, in dem sich die kleine Zwei-Zimmerwohnung befand, die ich gemietet hatte. Nach meiner Dienstreise nach Washington
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