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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
Autoren: Barbara Erskine
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haben sogar noch älteres Zeug gefunden. Aus der Eisenzeit, glaube ich, oder Bronzezeit oder so. Willst du für dein Referat immer noch was Archäologisches machen, Allie?« Er lächelte seine Tochter an.
    »Schon möglich.« Der plötzliche Anfall von Enthusiasmus hatte sein Ende gefunden. Sie setzte sich wieder und schob, als sie die Ellbogen ausbreitete, Messer und Gabeln durcheinander.
    Patrick legte die Stirn in Falten, sagte aber nichts. Er hatte mittlerweile gelernt, daß eine Bemerkung seinerseits nur eine Tirade von Beschimpfungen durch seine Schwester nach sich zog, die dann alle aus der Fassung bringen und schließlich ihnen allen das Essen verderben würde. Das war schon zu oft passiert.
    »Ich mache Ausgrabungen in der Düne.« Alisons plötzliche Ankündigung ließ Rogers Hand für einen Moment innehalten, während er den Wein einschenkte.
    »Das klingt ein bißchen sehr ehrgeizig, mein Mädchen«, sagte er vorsichtig. »Unterschätze das nicht, das bedeutet eine Menge Graberei, und vielleicht findest du nichts.«
    »Ich habe schon davor was gefunden.«
    »An derselben Stelle?« Greg sah zu ihr hinüber, ungläubig. »Und warum hast du nichts davon erzählt?«
    »Geht dich nichts an.« Alison nahm sich ein Weinglas, so daß Patrick keins mehr hatte.
    »He, das ist meins -«
    »Schenk dir selber was ein.« Als ihre Eltern beide schwiegen, setzte sie das Glas trotzig an die Lippen und nahm einen kleinen Schluck.
    »Was hast du gefunden, Allie?« Rogers Stimme nahm jenen besänftigenden Ton an, in dem er oft zu seiner Tochter sprach œ leise, fast bittend.
    »Ich zeig‘s dir.« Sie stand auf und trottete, das Glas noch in der Hand, in Richtung Treppe, die hinter der Tür beim Kamin nach oben führte.
    »Sie hat sich stapelweise Archäologiebücher ausgeliehen«, sagte Patrick mit gedämpfter Stimme, als sie außer Hörweite war.
    »Mußtest du wieder in ihr Zimmer gehen!« schalt Diana aufgebracht. »Du weißt doch, daß sie das nicht mag -«
    »Sie hatte meinen warmen Pullover geklaut. Ich hab‘ ihn mir wiedergeholt.« Patricks Mund formte sich zu einer harten Linie, genau wie bei seiner Schwester, als Alison mit einer Schuhschachtel in der Hand zurückkam.
    »Schaut. Das habe ich alles am Strand gefunden, oder besser auf der Klippe, und die zwei da habe ich in der Düne ausgegraben.« Sie kippte den Inhalt der Schachtel auf den Tisch zwischen Messer und Gabeln. Dieses Mal sagte niemand etwas über den Schauer aus schmutzigem Sand, der sich über das Besteck auf Dianas geschrubbter Tischplatte ergoß: mehrere Tonscherben, ein paar Stücke aus geschnitzten Knochen und ein oder zwei unkenntliche Fragmente aus verschlungenem, verrostetem Metall. »Ich glaube, da ist ein Grab. Ein römisches Grab«, sagte sie feierlich.
    Einen Moment lang herrschte Stille.
    Greg schüttelte langsam den Kopf. »Unmöglich. Wenn es überhaupt was ist, dann eins von diesen roten Hügel-Dingern œ was mit antiken Salzgruben. Trotzdem…«, fuhr er nach einem Blick auf die empörte Miene seiner Schwester rasch fort, »vielleicht sollten wir wen rüberkommen lassen, der sich mit solchen Sachen auskennt.«
    »Nein!« Alison fuhr ihn wütend an. »Ich will nicht, daß irgendwer davon weiß. Niemand. Es gehört mir. Es ist mein Grab. Ich hab‘s gefunden. Ihr erzählt keinem was davon. Klar? Niemandem. Ich grabe da. Alles, was ich finde, gehört mir. Wenn ihr‘s wem erzählt, macht ihr alles kaputt. Alles!«
    Sie packte ihre Schätze wieder in die Schachtel, schlug den Deckel drauf und stürzte aus dem Zimmer.
    »Laß sie.« Diana genoß die wohlige Wärme des Herds. »Sie verliert bestimmt bald die Lust, wenn sie merkt, wieviel Arbeit das ist. Und ich bin sicher, daß da nichts ist. Jedenfalls nichts, was einen vernünftigen Menschen interessieren könnte.« Sie lächelte nachsichtig. »Bist du so lieb und räumst den Dreck weg, Patrick? Und dann essen wir, sonst kommen unsere Gäste noch, bevor wir fertig sind.«

V
    Seine Nägel hatten tiefe Spuren in seinen Handflächen hinterlassen. Die Adern traten hervor, pulsierten an den Schläfen und am Hals, doch er war lautlos wie eine Katze auf Beutezug. Nicht ein Blatt raschelte unter den weichen Sohlen seiner Sandalen, kein Zweig brach. Geräuschlos schob er die Blätter auseinander und spähte in die Lichtung. Die lange Tunika seiner Frau sowie ihr Umhang lagen zwischen den Glockenblumen, ein blauer Farbfleck im Blau. Die Waffen des Mannes und auch seine Kleider lagen daneben. Die
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