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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
Autoren: Barbara Erskine
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Wasser voran.
    Das kleine Einsprengsel aus Lehm, das auf der Schwemmebene des Storwell-Flusses zurückgeblieben war, als die Gletscher schmolzen, hatte sich vor zweitausend Jahren auf dem Grunde eines Süßwassersumpfs befunden. Der Sumpf, vor langer Zeit ausgetrocknet, war mittlerweile verschwunden, und das fruchtbare Weideland, das seine Stelle einnahm, hatte sich durch die Jahrhunderte in Ackerboden verwandelt, dann in Wald und Gestrüpp, und dann, als sich das Meer unerbittlich immer weiter in die Ostküste Englands fraß, in einen Kieselstrand. Jetzt, nach fast zwei Jahrtausenden der Verwandlung und Erosion, waren die Erde, der Sand und der Kies, welche den Lehm noch von der Luft und dem Licht trennten, nur noch zentimeterdick.

IV
    Diana Lindseys rundliche Figur war in eine dicke Hose, einen Anorak und einen riesigen Schafwollschal gehüllt, als sie in der Eingangstür von Redall Cottage stand und zusah, wie ihr ältester Sohn das Feuer anzündete. Sie war eine kleine, blonde Frau, hübsch, mit hellgrünen Augen und von der Arbeit geröteten, rissigen Händen.
    »Beeil dich, Greg. Das Essen ist bald fertig. Mit deinem Theater habe ich heute morgen schon genug Zeit verloren.« Sie sah sich mit Kennerblick in dem kleinen Wohnzimmer um. Trübes Sonnenlicht ergoß sich durch das Fenster, beschien die hellen Fleckerlteppiche auf dem Boden sowie das kleine Sofa und den Sessel, die um das Feuer plaziert waren. Das Zimmer gefiel ihr. Sie hatten nur vierundzwanzig Stunden Zeit gehabt, alles sauber zu machen, Gregs Habseligkeiten zusammenzuräumen und sie durch ein paar anständige Möbelstücke zu ersetzen: einen Tisch und zwei Stühle für die Küche; einen kleinen viktorianischen Lehnstuhl für das Schlafzimmer, in dem es bis dahin nur das Doppelbett gegeben hatte; Laken, Handtücher, eine Kiste mit den wichtigsten Lebensmitteln. œ Letzteres war Bills Idee gewesen und weit mehr, als vom Vermieter zu erwarten war. Aber sie mußte ihm zustimmen, daß das Cottage kalt und einsam genug sein würde, auch ohne das Wissen, daß es in den Schränken weder Speisen noch Kaffee gab, daß meilenweit kein Laden zu finden war und daß die, die es gab, nicht vor Montag morgen öffneten. Jetzt mußte nur noch der Holzofen angemacht und eine Vase mit Winterjasmin auf den Küchentisch gestellt werden.
    Dann war es geschafft.
    Greg verriegelte die Ofentür und stand auf. Seine kräftige Statur füllte den Raum, und er mußte seinen Kopf unter den Deckenbalken beugen. »Endlich zufrieden, Ma? Lady Muck wird sich hier so wohl fühlen wie ein Käfer in der Scheiße.«
    »Sei nicht so vulgär, Greg.«
    Ihr Tadel kam automatisch, gelangweilt. Sie ging in die Küche und sah sich auch dort noch ein letztes Mal um. Die Töpfe, Pfannen und Teller waren fast wie neu. œ Soviel sie wußte, hatte Greg sich nie die Mühe gemacht, außer Kaffee irgend etwas zu kochen. Die Messer, Gabeln und Löffel hatte sie aus dem Farmhaus mitgebracht. »Schön. Fahren wir zurück. Bill hat angerufen und gesagt, daß sie wahrscheinlich bis zum Tee hier sind. Er wollte, daß sie sich schon ein bißchen eingerichtet hat, bevor es dunkel wird.«
    »Wie weise.« Greg stieß die Tür nach draußen hin auf. Hinter ihnen loderten die Flammen im Holzofen empor, beruhigten sich aber wieder hinter dem geschwärzten Glas der Klappen. »Soll ich Allie holen?«
    Durch den düsteren Wald, der das Cottage von der RedallFarm trennte, lief ein etwa eine halbe Meile langer Feldweg. Während seine Mutter zum Land Rover ging, der am Ende des Wegs geparkt war, machte er kehrt und ging seitlich um das Cottage herum. Das kleine, mit Holz eingefaßte Gebäude, hellrosa bemalt, schmiegte sich an einen Halbmond aus Bäumen. Hinter dem Häuschen ergab das kurze, von Kaninchen abgefressene Gras einen zwanglosen Rasen, der in Richtung des Sandes und der Kiesflecken wuchs, die die Mündung des Storwell-Flusses vom Strand und den kalten Wellen der Nordsee trennten. Es war eine windige, ungeschützte Stelle, sogar heute, da die Sonne wenigstens ab und zu ihre Strahlen aus der Wolkendecke hervorschickte.
    »Allie!« Greg legte die Hände um den Mund und brüllte, so laut er konnte, den Namen seiner Schwester. Als seine Mutter die Tür des Land Rover öffnete und hineinkletterte, verschwand er auf der Rückseite des Cottage in den Zähnen des Windes.
    Alison Lindsey, fünfzehn Jahre alt, das blonde Haar mit einem Gummi straff zu einem Pferdeschwanz gebunden, der in den Kragen ihrer Windjacke
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