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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
Autoren: Barbara Erskine
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Rocksaum hochwandern. Geschützt durch das Wissen, daß ihre Schenkel in eine dicke und nicht sonderlich elegante schwarze Wollstrumpfhose gehüllt waren, schlug sie die Beine übereinander, bewußt provozierend. »Er hat mich nie ernährt, Bill. Ich habe für mich selbst gesorgt«, sagte sie ruhig.
    Bill strahlte sie liebenswürdig an. Sie war groß, so wie Jon, und ihr Körperbau war dem seinen so ähnlich, daß viele sie für Bruder und Schwester gehalten hatten. Während Jon aber schlaksig und lässig aussah, wirkte sie elegant und anmutig, ein Eindruck, den ihr langes, braunes Haar, im Nacken locker mit einem scharlachroten Seidenschal zusammengebunden, und ihre schlanken Finger noch verstärkten. Im Moment hielten diese eine Brille, die Kate erst aufgesetzt hatte, um Bills Gesichtszüge zu mustern, aber dann gleich wieder abnahm, als reichte ein Zehn-Sekunden-Schwenk für ein Leben.
    »Ich brauche deine Hilfe, Bill. Ich brauche einen Platz, wo ich eine Zeitlang wohnen kann.« Sie hielt inne und schenkte ihm ein vorsichtiges, zögerndes Lächeln. »Ich dachte, ich könnte vielleicht in deinem Cottage unterkommen.«
    Bill runzelte die Stirn. »Mein Gott. Du mußt wirklich verzweifelt sein. Weißt du, wo mein Cottage liegt?«
    Sie lachte. »Soviel ich weiß, oben im Norden von Essex.«
    »In der schönsten Ecke von Essex und damit, wie ich finde, in der schönsten Ecke von England. Nur leider ist das zu dieser Jahreszeit auch die unzugänglichste und kälteste Ecke dieses Landes. Ich habe dort nur ein Minimum an sogenanntem Komfort. Das Schlafzimmer ist voller Gerumpel, das Dach undicht, und außerdem ist das Haus furchtbar feucht und kalt. Du würdest dich elend fühlen. Hat Jon dich rausgeworfen?«
    »Sozusagen.« Ihre Lippen wurden schmal. »Ich hatte gedacht, daß wir uns die Wohnung teilten, aber das war wohl ein Irrtum.«
    »Also habt ihr euch getrennt?«
    Sie nickte. »Das theatralische Getue ist vorbei. Wir sind nun einmal furchtbar zivilisiert.«
    Es tat weh, darüber zu sprechen.
    Sie kannte Bill seit fünfzehn Jahren, seit ihrem ersten Semester an der Uni. Er war einer ihrer besten Freunde, aber vom Geld würde sie ihm nichts erzählen. Es ging ihn nichts an, was sie mit ihren Ersparnissen gemacht hatte und daß ihr Geld nicht mehr für die Miete reichte. Außerdem hatte Jon versprochen, alles zurückzuzahlen, wenn er den nächsten Vorschuß bekam. Oder den übernächsten… Fröhlicher, großzügiger, nutzloser, egoistischer, verdammter Jon! Und sie war der Dummkopf, der auf ihn hereingefallen war!
    Bill lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Er war ein korpulenter Mann mit Haarausfall, Mitte Dreißig, mit einem humorvollen, sympathischen Gesicht, das zu seinem Kummer nichts außer einer fröhlichen, immerwährenden Jovialität ausstrahlte.
    »Gehe ich recht in der Annahme, daß Jon dich um den Großteil der Kohle erleichtert hat, die du für Jane bekommen hast?«
    Sie zog eine Augenbraue hoch. »Hat er dir das gesagt?«
    »Nicht direkt, nein. Ich hab‘s mir gedacht. Schließlich kannte ich euch beide schon eine ganze Weile, bevor ihr euch begegnet seid. Bist du völlig blank, oder kannst du dir noch ein bißchen Miete leisten?«
    »Ein bißchen schon«, sagte sie vorsichtig. »Aber keine Londoner Preise.«
    »Nun gut. Nicht weit von meinem Häuschen. In Essex. Oben in der Redall-Bucht. Meine Nachbarn haben da ein Cottage, das wollen sie für sechs Monate vermieten. Es liegt nur ein paar Meilen von meinem weg, ist aber viel zivilisierter. Und still.« Er lachte plötzlich. »Still wie ein Grab.«
    »Und würden sie es mir vermieten?«
    »Bestimmt. Sie haben davon gesprochen, als ich das letztemal oben war. Sie brauchen das Geld. Wenn ich dich empfehle und wenn du einen Scheck mit drei Monatsmieten im voraus auftreiben kannst, bin ich ziemlich sicher, daß sich das machen läßt.« Er beugte sich unvermittelt nach vorn und zog eine Schreibtischschublade auf. Der Stapel Photos, den er vor ihr auf die Schreibunterlage warf, war verknittert und abgegriffen. »Es ist trostlos da, Kate. Überleg es dir gut. Du wärst dort schrecklich einsam.«
    Sie nahm die Photos und warf dabei einen Blick auf sein Gesicht. »Ich weiß, daß es trostlos ist. Ich kenne die Küste. Ich war schon ein-, zweimal da oben.«
    Auf den Bildern waren Urlaubsszenen zu sehen: Menschen, Boote, Hunde, Kinder, Sand, Kieselsteine und immer das Meer ein graugrünes, schmutziges Meer. Auf einem sah sie in der Ferne
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