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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine
Autoren: Mikael Niemi
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Einzelnen. Oder sollen wir die Mädchen verschonen, was meinst du?«
    »Ich habe … weißt du … ich habe eine kennen gelernt …«
    »Aber die Jungs, die erledigen wir. Jeden einzelnen. So viele, wie wir schaffen.«
    »Sie heißt … La …«
    Pålle sah mich ruhig an. Sein Gesicht war überirdisch ruhig. Er hatte etwas Wogendes, Glänzendes an sich, etwas Vogelartiges. Er hatte am Abgrund gestanden, und schließlich hatte er sich fallen lassen.
    »Wir verlassen diese Scheißwelt«, sagte er. »Aber mit Stil. Die werden uns nie vergessen.«
    Er hielt das zusammengesetzte Metallteil hoch. Es war ein Maschinengewehr. Zum Schluss drückte er ein geladenes Magazin hinein.
    »Wir gehen zusammen rein. Ich feuere eine Salve über die Bänke. Du bleibst in der Tür stehen und gibst mir Deckung. Keiner kommt rein oder raus, ich will nicht von hinten angegriffen werden.«
    »An der Tür stehen bleiben«, hallte eine Stimme in meinem Mund wider.
    »Es wird Panik geben. Sie werden zur Tür stürmen. Du hältst sie auf. Schießt mitten hinein, ein Schuss reicht, das ist Hohlspitzmunition. Die ganze Brust wird auseinandergerissen.«
    »Mitten hinein.«
    »Ein paar werden zum Fenster rennen. Die nehme ich mir vor. Oder sie verstecken sich unter den Bänken, dann wird das eine Rattenjagd. Peng, peng, hihi, einer nach dem anderen. Wir führen das zu Ende, machen weiter, bis alles klar ist. Es wird nicht mehr als zwei Minuten dauern.«
    »Zwei Minuten.«
    »Zwei, höchstens drei Minuten. Dann ziehen wir uns zurück. Auf demselben Weg. Durchs selbe Fenster raus und auf die Drahtesel.«
    »Selbes. Fenster.«
    »Bis die Bullen kommen, sind wir schon lange weg. Wir fahren die Radwege entlang, ganz ohne Stress, im normalen Tempo, so dass uns keiner beachtet. Keiner wird uns anhalten, keiner sehen, wie wir im Wald verschwinden.«
    »Sollen. Wir. Dahin?«
    »Das weißt du doch. Wir werden wie vom Erdboden verschluckt sein, verschwunden von der Erdoberfläche. Es gibt genug Vorrat, dass wir durch den Winter kommen.«
    »Im Bunker.«
    »Kein Schwein wird uns finden. Die werden wie die Wahnsinnigen suchen, die werden Busse, Züge und Tramper überprüfen, aber nirgends auch nur die geringste Spur finden.«
    »Win. Ter. Bun. Ker.«
    »Wie geplant«, sagte Pålle.
    Er beugte sich dicht zu mir. Sein Atem roch süßlich.
    »Du schaffst das doch, oder?«, fragte er leise.
    »Schaff. Ffe.«
    »Denn wenn du jetzt kneifst … Wenn du nur daran denkst, dann bin ich gezwungen, dich zu erschießen.«
    »Pål. Le.«
    »Nimm noch eine«, sagte er und legte mir eine rote Tablette auf die Handfläche.
    »La …«
    »Komm, nimm sie schon.«
    Ich führte die Hand zum Mund und schluckte kräftig.
    »Lass sie einen Moment wirken«, sagte Pålle. »Spür, wie die Ruhe kommt.«
    »Aa.«
    »Komm, jetzt verstecken wir uns im Klo. Wir schließen uns in einer Kabine ein und warten.«
    Ich ging mit dem Revolver voran, Pålle folgte dicht hinter mir mit der MP und dem Rucksack. Ich hörte, wie er anfing zu summen. Eine Melodie von einer alten Vinylsingle, immer und immer wieder. Die ganze Welt drehte sich langsamer, wie in Sirup getaucht.
     
    Everybody come and do the Locomotion
    Come on baby, do the Locomotion
     
    »Ach, übrigens«, unterbrach er sich selbst. »Es waren nicht die Schweinefresse und Ludvig, die mich zusammengeschlagen haben.«
    »Nein?«
    »Nein, es war mein Vater. Aber damit ist jetzt Schluss. Die haben damit aufgehört. Er und meine Mutter. Ich habe es geschafft, dass sie aufgehört haben.«
    Siiiiiirrruuupp … Siiiiiiiiirrrrrrrrrruuuuuuuuuuuuppp …
    Muss.
    Ihn.
    Aufhalten.
     

MONOLITH 5
     
    Menschen haben so sinnlose Angst vor dem Tod. Ich auch, als ich ihm das dritte Mal begegnete. Das erste Mal starb ich um der Liebe willen, es gab ein Mädchen, das hieß Sabina Stare, das mich nicht liebte, und ich war gezwungen, mein Leben zu opfern.
    Ich verbrannte es, legte es in eine Kuhle und ließ die Flammen in die Nacht aufsteigen. Der Tod war stark und weiß, ich begegnete den Flammen und ging durch sie hindurch. Das war ein trauriges Gefühl. Aber dann wurde es einfacher. Irgendwie freier.
    Das zweite Mal flog ich eine Treppe hinunter.
    Das dritte Mal erinnere ich nur als einen weißen, durchscheinenden Nebel.
    Ich halte den Revolver, schwer, tödlich, und sobald wir in der Toilette sind, will ich mich umdrehen und ihm mit dem Kolben eins über die Schläfe verpassen. Ein schwerer Schlag, so dass er zu Boden geht. Vielleicht muss ich zweimal
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