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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine
Autoren: Mikael Niemi
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Gras und grünen Wäldern verschwanden.
    Und das würde das Paradies sein. Lavendel und ich, zwei Liebende. Wir hätten den ganzen Planeten für uns, alle Technik wäre überholt, alle Elektronik, alle Computer. Wozu ein Handy, wenn man den, den man liebte, neben sich sitzen hatte? Wozu waren Fernsehen oder Internet nötig, wenn man den Sonnenuntergang vor sich hatte?
    Im ersten Sommer nach der Katastrophe würden wir Richtung Süden aufbrechen. Wir würden uns ein Fahrrad in den rostigen Fahrradständern der Stadt suchen und den verwitterten Asphaltwegen quer durch Skandinavien folgen. Die Öresundbrücke würde hoffentlich noch stehen, sonst müssten wir in einem Boot über den Sund schippern. Und dann weiter über den Kontinent. Das würde den ganzen Sommer dauern. Aber dann bei Herbstbeginn, dann würde sich etwas Riesiges, Tiefblaues vor uns öffnen. Das Mittelmeer. Menschenleere Strände und gleißende Sonne. Orangenhaine, Palmen, verwilderte Felder, die nur darauf warteten, wieder kultiviert zu werden.
    »Hier ist es schön«, sagt sie.
    »Hier ist es sehr schön«, lache ich und lehne das Rad gegen einen alten Olivenbaum.
    Dann lassen wir uns im Schatten nieder und genießen die Meeresbrise. Nein, wir legen uns hin, eng umschlungen. Ihr grüner Blick tief in meinem. Es gibt nur noch uns beide, die letzten beiden auf der ganzen Welt. Und gleichzeitig die ersten.
    »Eva«, flüstere ich. »Und Adam …«
    Sie zieht sich langsam den Pullover aus. Ich öffne meine Hose. Und wir stehen uns nackt gegenüber, pulsierende Haut, pulsierende Geschlechtsteile. Wir werden es wieder in Gang setzen. Wir werden die neue Menschheit gründen. Die Elektrizität wird stärker, das Bild knistert, zittert und verschwindet …
     

MONOLITH 4
     
    Ich musste eingeschlafen sein. Die Kerze war heruntergebrannt und erloschen, es war kohlrabenschwarz um mich herum. Ich strich ein Holz über die Reibefläche, die Armbanduhr zeigte, dass die Morgendämmerung sich näherte.
    Etwas hatte mich geweckt. Das Gefühl kam zurück, da gab es etwas, was ich übersehen hatte. Eine Unruhe im Hinterkopf, ein juckender Splitter. Etwas, das nicht stimmte.
    Pålles Gesicht tauchte vor meinen Augen auf. Er versuchte etwas zu sagen. Seine Lippen bewegten sich, aber sie waren mit einer Art schwarzer Folie bedeckt, eine körnige Haut.
    Nein, das war etwas anderes. Ich ging zurück in meiner Erinnerung, durchlief noch einmal die letzten Tage. Pålle in der Notaufnahme. Der tote Junge im Krankenhausbett. Mamas Verrat. Lavendel.
    Ich schloss die Augen. Wischte alle Gedanken aus meinem Kopf und sah sie wie schmutziges Wasser in einem Badewannenabfluss abfließen. Schließlich wurde ich selbst auch hineingezogen, ich sank immer tiefer, während mein Körper immer schwerer wurde. Ein kreisendes, einschläferndes Gefühl der Übelkeit.
    Aber gerade in dem Moment, als ich fast einschlief, zuckte mein Körper zusammen. Ich richtete mich hellwach auf. Der Hund. Pålles Hund. Warum hatte er gestern nicht gebellt, als ich dort gewesen war?
    Seine Eltern waren verreist und hatten den Hund mitgenommen. Das war alles. Aber Pålle hatte doch gesagt, sie würden schlafen? Dann mussten sie ja wohl zu Hause sein?
    Die Kälte im Bunker ließ mich zittern. Es gelang mir, einen Spirituskocher anzuzünden, der ganz neu aussah, Wasser zu kochen und eine Kiste mit Teebeuteln zu finden. Der Tee schmeckte bitter so ohne Zucker, aber er weckte mich. Mit einem Kerzenstummel in der Hand suchte ich den Weg zurück durch die Gänge, und bald war ich draußen beim Fahrrad.
    Die erste Morgenröte war zu erahnen. Die Kälte machte den Wald neblig, Feuchtigkeit tropfte von den nackten Zweigen des Dickichts. Vom Durchzwängen wurde meine Kleidung feucht, die Joggingschuhe verwandelten sich in Schwämme. Endlich erreichte ich den Waldweg. Die Reifen rutschten auf dem Lehm, als ich losstrampelte und immer schneller wurde, um wieder warm zu werden. Hinter einer Kurve stand plötzlich etwas riesiges Schwarzes. Das Fahrrad rutschte näher, und ich sah, wie sich die großen Parabolohren drehten. Dann bekam sie Witterung von mir und lief mit großen, wiegenden Schritten davon, und gleich hinter ihr folgte ein Elchkalb mit kleinen, erschrockenen Trippelschritten. Wie im Traum verschwanden sie zwischen den Bäumen, wie etwas, das ich nur fantasiert hatte. Nur die Spuren waren noch zu sehen, als ich mir des Anblicks wirklich bewusst geworden war.
    Die Stadt schlief noch, als ich angeradelt kam, die
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