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Drachenkampf

Drachenkampf

Titel: Drachenkampf
Autoren: Pierre Pevel
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Juni 1633
    W ir befinden uns in der vergänglichen Zeit kurz vor dem Morgengrauen, jener Zeit der letzten Ruhe und der aufkommenden Nebel, in der der Morgen nichts ist als ein fahles Versprechen am Rande der Nacht. Über einem abgelegenen Landsitz an der Grenze zwischen dem Elsass und Lothringen legt sich bereits ein rosafarbener Schleier auf die Landschaft. Und während sich lang gezogene, zerrissene Wolken vor einem Himmel voller verblassender Sterne abzeichnen, herrscht tiefe Stille.
    Vom Rande eines Wäldchens aus beobachtet ein vornehmer Edelmann den Landsitz und die wenigen schwachen Lichter, die herausdringen. Er hält sich kerzengerade, steht etwas breitbeinig da, wie ein Schatten zwischen Schatten unter dem Geäst, ein Daumen steckt in der Gürtelschnalle, und eine Hand ruht wie eine Muschel auf dem Degenknauf. Der große, schöne, noch junge Mann nennt sich François Reynault d’Ombreuse.
    Heute wird er aller Wahrscheinlicheit nach einen Drachen getötet haben oder ein Drache ihn.
    An der Mauer, die das Anwesen und seine verfallenen Nebengebäude schützt, beneiden einige Söldner mit schweren Lidern ihre schlafenden Kameraden und warten ungeduldig auf den Sonnenaufgang. Sie schlummern auf ihre Musketen gestützt oder tragen ihre Laternen spazieren, während sie müden Auges die schwindende Dunkelheit beobachten. Es handelt sich um ungefähr dreißig Aushilfssoldaten, die im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation seit fünfzehn schrecklichen Jahren, die der Krieg nun dauert, unter allen Bannern gekämpft und geplündert haben. Von nun an geben sie einem bleichen Edelmann Geleitschutz, dessen Blicke und Schweigen sie stärker beeindrucken, als sie jemals zugeben könnten. Sie wissen nichts von ihm, bis auf die Tatsache, dass er gut zahlt. In seinem Gefolge haben sie das rheinische Deutschland durchquert, ohne auch nur einmal abzusatteln, bis zu diesem elsässischen Herrensitz, dessen Verteidigungsanlagen – eine gute Mauer und ein solides Tor – immer noch ihren Zweck erfüllen. Dort haben sie ihr Lager nun schon seit zwei Tagen aufgeschlagen, abseits der Straßen und vor allem abseits der schwedischen und kaiserlichen Armeen, die sich mit den Landgrafen des Ober- und Unterelsasses bekämpfen. Ganz offensichtlich begeben sie sich heimlich nach Lothringen, das ganz in der Nähe liegt. Vielleicht würden sie sogar nach Frankreich ziehen. Aber was würden sie dort tun? Und warum diese Marschpause?
    François Reynault d’Ombreuse dreht sich nicht um, als er hört, dass sich ihm jemand von hinten nähert. Er erkennt den Schritt Ponssoys, eines Waffengefährten.
    »Wachen in diesem abgelegenen Land«, sagt dieser, nachdem er die Laternen in der Ferne gezählt hat. »Das ist mehr als vorsichtig …«
    »Vielleicht wissen sie, dass wir ihnen auf den Fersen sind.«
    »Woher sollten sie das wissen?«
    Mit einem unsicheren Zug um die Lippen zuckt Reynault die Achseln.
    Die beiden Männer dienen in der hoch angesehenen Kompanie der Gardisten zum heiligen Georg. Sie tragen den halben Harnisch und sind ganz in Schwarz gekleidet. Schwarz sind der Filzhut mit der breiten Krempe und der Federbusch, schwarz ist der Stoff des Wamses und der Beinkleider, schwarz auch das ausgezeichnete Leder der Stiefel und der Handschuhe. Schwarz sind der Gürtel und die Scheide des Schwerts, schwarz ist schließlich auch der alchemistische Stein – ein eingefasster Draconit –, der den Knauf des Rapiers ziert. Die einzige Ausnahme in diesem großen Kriegsaufzug ist der Schal aus weißer Seide, der die Taille Reynaults umschlingt. Er zeigt seinen Offiziersrang an.
    »Es wird Zeit«, sagt Ponssoy in das Schweigen hinein.
    Nachdem ihm Reynault beigepflichtet hatte, wenden sie sich von dem alten Landsitz ab und dringen in den Wald vor.
    Auf einer Lichtung beten die fünfundzwanzig Wachen der Truppe, die Reynault befehligt, unter dem Firmament. Sie haben ein Knie auf dem Boden abgesetzt, eine Hand ruht auf dem Knauf des Degens, die andere pressen sie mit dem Hut ans Herz. Sie verharren schweigend, vor dem Kampf unter den Sternen vereint. Sie wissen, dass nicht alle den nächsten Sonnenaufgang erleben werden, doch dieses Opfer lastet nicht auf ihrer Seele.
    Auch Schwester Béatrice kniet ihnen gegenüber. Sie gehört dem Orden an, dem auch sie dem Schwur nach dienen und der sich der Verteidigung Frankreichs gegen die Drachen verschrieben hat. Sie ist eine Schwester des heiligen Georg – eine »Burgschwester«, wie man die Nonnen dieses
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