Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
um zu sehen, ob es auch hielt, dann steckte er die Füße einen nach dem anderen in die Schlaufen und kletterte hinauf. Mühsam zog er sich durch das offene Fenster.
    »Der Rucksack!«, befahl er.
    Ich reichte ihn nach oben und merkte, wie schwer er war. Dann kletterte ich hinterher. Mit Pålles helfender Hand zog ich mich über die Fensterbank. Er holte das Seil ein und schloss wieder das Fenster. Von draußen konnte niemand etwas Verdächtiges sehen. Wir standen still da und lauschten, uns beiden war der Ernst der Lage bewusst. Das hier war kein Spiel mehr, das war ein Einbruch. Wir hatten eine Grenze überschritten.
    Der Flur war hell erleuchtet. Vielleicht gab es jemanden, der hier arbeitete? Einen Nachtwächter? Wir horchten angespannt, aber es war alles still. Vorsichtig schlichen wir uns vorwärts, jedes Mal, wenn wir an einem Fenster vorbei mussten, duckten wir uns, damit niemand etwas von außen sehen konnte. Das Gebäude erschien so fremd ohne das tägliche Leben und Treiben, fast feindlich. Stein und Beton, Glas und Ziegel, nur hartes Material mit scharfen Kanten und Ecken. Wir liefen in den nächsten Flur, dort standen die Schülerspinde.
    Eine lange Reihe von Metallkästen mit nadelgrünen oder senfgelben Türen. Alle nummeriert und mit einem Vorhängeschloss versehen, das die Schüler am Anfang des Schuljahres mitbringen mussten. Ich unterdrückte ein Schaudern. Sabina Stare und ein Strauß Rosen, genau hier hatte sie ihn auf den Boden geworfen.
    Der Spind der Schweinefresse war leicht wiederzuerkennen. An einem Aufkleber, auf dem stand: »Golfer schaffen 18 Löcher.«
    »Hast du eine Zange?«, fragte ich flüsternd.
    Pålle grub in seinem Rucksack und zog eine große Kneifzange heraus. Ich behielt meine Handschuhe an, um keinen Fingerabdruck zu hinterlassen, und versuchte den Schlossbügel durchzukneifen. Aber wie sehr ich mich auch anstrengte, es war kaum ein Abdruck zu sehen.
    »Den Meißel«, bat ich.
    Pålle gab ihn mir. Ich schob ihn in die Schlossöse, drückte gegen die Schranktür und hebelte mit einem Ruck. Das ging besser, das Schloss gab mit einem Knirschen nach, seine Teile fielen scheppernd zu Boden. Die Tür glitt auf, und wir beugten uns vor.
    Auf dem Regal lagen ein paar Schulbücher, am Haken hing ein hellblaues Tennishemd, und auf dem Boden stand ein Paar Sportschuhe. Das war alles. Wütend fegte ich die Bücher auf den Boden, warf das Hemd obendrauf und trampelte darauf herum.
    »Dieses Schwein!«, fauchte ich. »Hast du ein Feuerzeug, dann verbrennen wir den Mist.«
    »Dann gibt es Feueralarm«, bemerkte Pålle. »Die Rauchmelder.«
    Frustriert ging ich zu Ludvigs Spind und brach auch den auf. Aber auch hier war nichts Teures abzustauben. Ein Energiedrink stand auf dem Regal, ich öffnete ihn und bespritzte beide Spinde mit der klebrigen Flüssigkeit.
    »Zufrieden?«, wollte Pålle wissen.
    »Besser«, sagte ich.
    »Bist du dabei?«, fragte er dann.
    »Meinst du …?«
    »Du weißt, was ich meine.«
    Pålle betrachtete mich mit einem ganz ruhigen Blick, der in gewisser Weise durchsichtig war. Als könnte ihn nichts mehr erschüttern. Er holte eine Packung Tabletten aus der Tasche, drückte eine weiße aus der Folie und schluckte sie. Dann legte er mir eine rote in die Handfläche.
    »Jetzt machen wir es«, sagte Pålle.
    »Scheiße …«
    »Man wird ganz ruhig, schau mich an. Schön ruhig.«
    »Ja …«
    »Ist nur so eine Soldatensache. Vollkommen ungefährlich.«
    Ich starrte Pålle an. Führte die Handfläche zum Mund. Schluckte schwer. Pålle betrachtete mich erwartungsvoll. Langsam breitete sich ein Lächeln auf seinem zerschlagenen Gesicht aus.
    »Ich wusste, dass du es hinkriegst«, sagte er.
    »Scheiße, Pålle …«
    Er beugte sich vor und öffnete den Rucksack. Zog ein öliges Stück Leinen heraus, in dem Metallteile lagen. Und dann noch etwas Schwarzes, ein Lederfutteral, das ich zu kennen meinte. Er reichte es mir und fing an, die Metallteile mit leisem Klicken zusammenzusetzen.
    »Wir gehen in der ersten Stunde rein«, sagte er. »Wir gehen rein, wenn sie sich hingesetzt haben.«
    Ich öffnete das Lederfutteral. Zog etwas Glänzendes, Schweres heraus. Den Revolver.
    »Die haben dann Schwedisch«, fuhr er fort. »Schwedischunterricht. Alle Arschgeigen sind versammelt, dann gehen wir rein und knöpfen uns einen nach dem anderen vor. Hier.«
    Er reichte mir eine schwere Pappschachtel. Drinnen lagen Revolverpatronen.
    »Aber Pålle …«
    »Wir erledigen sie alle. Jeden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher