Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eros

Eros

Titel: Eros
Autoren: Helmut Krausser
Vom Netzwerk:
nichts mehr
mitzuteilen, der Rest obliege meiner Phantasie. Ich solle alle Namen ändern,
mit der Veröffentlichung einige Jahre warten und bitte nicht auf den Hinweis
verzichten, daß es sich bei dem Buch um ein Produkt der Erfindung handle. Um
das Honorar müsse ich mir keine Sorgen machen. Mir wurden, leihweise, das wurde
betont, zwei Ledertaschen mit Notizen, Protokollen und Bändern überreicht, dann
fuhr mich Lukian persönlich zum Bahnhof.
    »Darf ich Ihnen noch ein paar Fragen stellen?«
    »Nein.« Und das war sein letztes Wort, er drückte mir stumm die
Hand.
    Sonderbare Wendungen
    Von Brücken schrieb mir noch einen Brief, in dem er sich
für die gute Zusammenarbeit bedankte.
    Die Schrift war zittrig, kaum lesbar, aber der Inhalt des Briefes
war in einem fröhlichen Ton gehalten.
    Es gebe im Leben doch etliche ganz sonderbare Wendungen. Manchen
Menschen sei es bestimmt, im Publikum zu sitzen, manche würden als Darsteller
geboren, und es sei ihm bis heute nicht klar, was erstrebenswerter wäre. Am
erstaunlichsten finde er den Umstand, daß niemand sicher sein könne, in welcher
Funktion er letztlich in diesem großen Theater enden würde. Die Kunst habe es
in der Hand, aus Platzanweisern Helden zu formen und umgekehrt. Das Leben sei
nur ein Haufen Material, aus dem dies oder das entstehe und manchmal auch nichts.
Aber er sei zufrieden, wiewohl er sich manches vorzuwerfen habe. Sein Leben
habe der Eros bestimmt, das sei eine komplexe, vielschichtige Kraft, unter der
man am Ende zerrieben werde, immer jedoch mit dem Gefühl, nicht ganz allein und
unwichtig zu sein. Es würde ihn sehr freuen, daß ich ihm zugehört hätte.
    Machen
Sies gut.
    Irgendetwas
    Ein paar Monate später wurde ich zum Begräbnis eingeladen.
Ich konnte es mir leisten, von München aus ein Taxi zu nehmen, und trug ein
schlechtes Gewissen mit mir herum, weil ich den Roman immer noch nicht begonnen
hatte. Etwas fehlte. Irgendetwas.
    Das Taxi fuhr die Auffahrt hinauf. Dem Eulennest war ein neuer
Anstrich verpaßt worden, es strahlte geradezu, so, wie ich mir das Strahlen des
Eispalasts vorgestellt habe. Der Park mit seinen kleinen Birkenwäldchen sah
wundervoll arkadisch aus, das zarte junge Grün des Rasens spielte ins
Bläuliche. Es war schon spät am Nachmittag, hinter den Bäumen färbten sich die
Wolkenränder rot.
    Niemand begrüßte mich oder schien mich auch nur wahrzunehmen. Es war
ein unspektakuläres Begräbnis. Ein wenig Musik (A Day in the Life, Fool on the Hill und Long, long,
long) vom Tonband wurde gespielt, niemand hielt eine Rede, so wie
es sich Alexander in seinem Testament gewünscht hatte.
    Mittels einer hydraulischen Hebebühne wurde der Sarg in die
Grabstätte hinabgesenkt. Insgesamt waren kaum ein Dutzend Menschen anwesend,
ausnahmslos uniformiert wirkende ältere Männer in schwarzen Anzügen. Manche
warfen eine Rose auf den Sarg, andere nicht. Lukian hielt sich fernab,
schlenderte gedankenverloren zwischen Bäumen, die frisches Laub trugen, es war
sonnig und mild an jenem Tag im Mai. Die Teilnehmer der Trauerfeier standen
eine Weile herum, dann verließ einer nach dem anderen den Park in Richtung
Schloß; es wurde kaum etwas geredet. Mir war nicht klar, wohin ich mich nun
wenden sollte, ob es noch etwas zu besprechen gab.
    Plötzlich stand jemand bei Lukian zwischen den Pappeln,
eine Frau im schwarzen Kleid, mit schwarzem Hut und Schleier. Lukian nahm sie
bei der Hand, die beiden gingen langsam zum Grab, die Frau, eine von ihren
Bewegungen her schon alte, gebrechliche Frau, warf etwas hinein, ich konnte
nicht erkennen was, etwas Leichtes, es schaukelte ein wenig im Wind, bevor es
auf den Sarg hinuntersank, ein buntes Stück Papier vielleicht. Beide blieben
wohl eine Viertelstunde so stehen, bis sich, auf einen Wink Lukians hin, die
steinernen Türen zum Grabmal schlossen. Ich war voller Neugier näher getreten,
hatte lautlos Schritt für Schritt gesetzt, stand nun keine zwei Meter hinter
den beiden. Lukian drehte sich um und zwinkerte mir zu. Die Frau legte eine
Hand auf seine Schulter, schien müde, ihre Züge waren hinter dem Schleier kaum
zu erkennen. Ich nannte meinen Namen und verbeugte mich, sie aber nickte nur, trat,
ohne eine Silbe, an mir vorüber. Wie um deutlich zu machen, daß die Geschichte
für mich damit zu Ende sei.

Nachspiel
    Entgegen von Brückens ausdrücklichem Wunsch habe ich fast
alles, was er mir auf Band sprach, im Wortlaut belassen. Die Art, wie er
manches nicht beschrieb, oder zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher