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Eros

Eros

Titel: Eros
Autoren: Helmut Krausser
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sich in meine Lage und antworten Sie! Und bedenken
Sie bitte dabei, daß dies hier nur ein Spiel ist, quasi im Simulator – na los!
    Ich grübelte ein wenig, meinte dann, daß solcherlei Spiele kindisch
seien, daß ich mich aber in seine Lage sehr gut hineinversetzen könne, eine
Scheißlage müsse das gewesen sein. Genau dies wollte er hören.
    Ich habe gesagt: »Herr Endewitt, ist doch klar: ich schlage das vor, was für Sofie und mich das Bestmögliche ist. Lassen Sie uns ausreisen,
ohne Aufsehen, Sofie soll in meinem Kofferraum liegen, und hinterher wird sie
bei mir auf dem Eulennest leben, und ich trage persönlich die Verantwortung,
daß nichts je nach außen dringen wird über Inge Schulz und ihre Zeit in
Leipzig.«
    »Und wenn sie doch irgendwann redet?«
    »Dann lügt sie eben! Genaugenommen könnte sie sich ja auch jetzt per
Brief an ein Westmedium wenden und ihre Geschichte erzählen, wenn sie das
wollte, aber wozu sollte sie das wollen? Lassen Sie Sofie und mich einfach ziehen.«
    Endewitt nickte und schob seine Unterlippe in den Mund.
    »Ja, das wäre wohl das Beste.« Er machte eine Pause, wohl, glaubte
ich, um sich am Keim meiner Hoffnung zu weiden. »Es gibt aber Schwierigkeiten.«
    »Und welche?«
    »Es existieren über den Fall Inge Schulz hierzulande
unterschiedliche Haltungen. Sie ist in letzter Zeit zu einer Art Problemkind
geworden, das manche gerne loswerden möchten. Für immer loswerden, meine ich.«
    »Wenn das eine Frage von Lösegeld ist –«
    »Neinnein, Sie können mich nicht bestechen, Sie können es zwar
versuchen, aber bitte – ich bin nicht geisteskrank. Ich bin ein zu kleines
Rädchen, um von Ihnen Geld anzunehmen, das wäre mein Ende.«
    Dieser Auffassung war ich nun nicht. Ich sagte ihm, daß die
Wirtschaft seines Landes so kaputt sei, daß man den Zusammenbruch förmlich
abwarten könne, nur noch ein paar Jahre, und er könne ohne jedes Risiko seinen
Lebensabend vergoldet bekommen. Danach sah er mich an, als sei ich geisteskrank. Er mußte sogar grinsen.
    »Ihre Träumereien in Ehren, damit kommen wir nicht weiter. Meine
Befugnisse in diesem Fall sind begrenzt. Auf eigene Faust euch beide ausreisen
zu lassen, kommt für mich nicht in Frage, das müßte von oberster Stelle
abgesegnet werden, und ich glaube nicht –« Er stockte. »Aber das geht Sie
nichts an.«
    Offensichtlich war das Politbüro über Inge Schulz nicht vollständig
informiert. Ich glaubte, zu begreifen: Die Nachricht meiner Einreise in die DDR
war über den Schreibtisch Horst Endewitts nicht hinausgegangen bzw. die
Verbindung von mir und Sofie war den sogenannten obersten Stellen nie
verdeutlicht worden. Aber was wollte er von mir? Er hätte alles haben können.
Ich schob den Stuhl ein wenig näher an den Schreibtisch.
    »Was schlagen Sie denn vor?« Es war für den Moment erleichternd, den
Spieß umzudrehen. Seine Antwort kam unverzüglich.
    »Inge Schulz muß sterben.«
    »Wie bitte?«
    »Inge Schulz ist nun mal da. Und aktenkundig. Sie hat hier gelebt
und muß sterben, damit ihre Akte geschlossen werden kann. Und falls sich Sofie
Kramer je darauf beruft, einmal Inge Schulz gewesen zu sein, muß es eine Leiche
geben, die man ihr entgegenhalten kann.«
    Aha. Das klang vernünftig. Klang nach einem Plan, der
ausdifferenziert werden wollte. Ich beugte mich vor, um eine quasi konspirative
Situation zu erschaffen. Es war alles so absurd.
    Endewitts Leute waren auf der Suche nach Inge Schulz, um ihrer
habhaft zu werden, bevor sie irgendwelchen Blödsinn anstellen konnte, während
ich mit Endewitt selbst über ihr Schicksal verhandelte. Eine makabre
Konstellation. Und Endewitt, im Rausch der Macht, taute immer mehr auf, bot mir
einen Kognak an und zeigte mir ein Polaroid seiner eben geborenen Tochter.
    »Wissen Sie, was ein Tiefkühlbraten ist?«
    »Nein. Ich meine – bestimmt nicht das, was ich mir darunter
vorstelle. Oder?«
    Inge Schulz hält sich an diesem Tag bei ihrem
Getränkehändler auf. Hockt in dessen Verkaufsraum hinten auf einer Holzbank,
was ihm nicht ganz angenehm ist, aber das äußert er nicht laut. Weiß nicht, was
sie von ihm will. Inge weiß es selber nicht.
    »Tiefkühlbraten sind Leichen von Opfern schwerster
Verbrennungen. Unkenntlich geworden. Sie werden manchmal nicht vergraben, sie
werden eingefroren und hervorgeholt, wenn man jemanden für tot erklären will,
der es nicht ist, oder es noch nicht ist, oder es sehr bald sein wird, aber
nicht so, wie man es die Welt glauben machen
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