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Eros

Eros

Titel: Eros
Autoren: Helmut Krausser
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Vorabend
    Ohne viel von ihm zu wissen, außer dem wenigen, was es
hier und da zu lesen gab, und ohne ihn je gesehen zu haben, außer auf schon
angegilbten Fotografien, war er mir widerlich. Dennoch reiste ich an, als er
mich rief. Wer meiner Kollegen wäre seinem Ruf nicht gefolgt? Alle, ausnahmslos
alle hätten sie ihre Neugier gestillt.
    Auf der Zugfahrt, die mich zu ihm brachte, war ich ein Mann in
zerrütteten Verhältnissen, der einen Mann von sagenhaftem Reichtum besuchen
würde, zu einem mir unbekannten Zweck.
    Unterlassen
Sie die kleinlichen Fragen. Kommen Sie, schrieb er, Sie werden es nicht
bereuen, versprochen.
    In dieser Formulierung lag Arroganz und Magie. Mir graute vor der
Faszination, die sein scheinbar großmäuliges Versprechen auf mich ausübte. Ich
schwor, mich nicht kaufen zu lassen, zu keinem Preis – und wußte im selben
Moment, daß, wer solche Schwüre leistet, die drohende Gefahr nicht nur spürt,
sondern ihr entgegeneilt. Mit der Verlockung ein wenig zu spielen, ja, das nimmt man sich vor.
Ein Angebot, gleich welcher Art, zu erhoffen, zu prüfen, schon um Geltungsdrang
und Eitelkeit zu füttern, auch dies erlaubt man sich im voraus. Sich aber
vorzunehmen, dann, danach, standhaft zu bleiben, grenzt bereits an
Selbstbetrug. Diese Sätze schrieb ich in mein Notizbuch, während
grauer, aufgewirbelter Schnee die Fenster des Abteils erblinden ließ.
    Das letzte Foto, das Alexander von Brücken zeigte, war vor
mehr als zwanzig Jahren entstanden. Seither schien es niemandem gelungen zu
sein, ihn vor das Objektiv einer Kamera zu bekommen. Es hieß, er lebe
zurückgezogen auf seinem Schloß im südlichen Oberbayern, umgeben von wenigen
Bediensteten.
    Das stürmische Winterwetter steigerte meine Furcht vor ihm und vor
mir selbst. Auf dem winzigen Provinzbahnhof angekommen, suchte ich vergeblich
nach einem Kiosk, um irgendetwas zu kaufen, vielleicht einen Schnaps. Außer mir
entstiegen nur drei angetrunkene ältere Damen dem Zug, in
Faschingsverkleidungen, johlend und kichernd. Neidisch sah ich ihnen hinterher.
Auf dem Bahnhofsvorplatz wartete ein großer schwarzer Daimler, mit einem
Chauffeur, der zu seinem grauen Sacco eine schwarze Trainingshose trug und
Turnschuhe. Er machte keinerlei Anstalten, mich zu sich zu winken, saß einfach
im Wagen, die Tür halb offen, und hörte Schlagermusik im Radio. Es war Sonntag,
halb sechs Uhr abends und schon fast dunkel. Ich mußte lachen. Lachte, beinahe
verzweifelt, das zugeschneite Dorf an, dessen Silhouette Mühe hatte, sich aus
dem wirbelnden Grau des Sturms herauszuschälen. Ob er, fragte ich den Fahrer,
ohne meinen Namen zu nennen, auf mich warte? Er, ein korpulenter, dümmlich
wirkender Mensch, nickte und bat mich einzusteigen. Die Lichter aus den
Fenstern der umliegenden Häuser schienen mich zu betrachten. Der Wagen legte
kaum zweihundert Meter in der Minute zurück, kämpfte sich vorwärts durch die
Schneemassen, bog von der Landstraße ab in eine von wenigen Laternen beleuchtete
Allee. Ich sah über die rechte Schulter des Fahrers nach vorne, in Erwartung
des Schlosses. Und bekam etwas zu sehen, für das die Bezeichnung Schloß
prahlerisch war, ein Schlößchen vielleicht, ein zugegeben eindrucksvolles
Herrenhaus neogotischen Stils, von einer zwei Meter hohen steinernen Mauer
umgeben.
    Pforten schwenkten auf, die Räder drehten kurz durch, ein Garagentor
hob sich. Die Garage war kaum größer als die einer Doppelhaushälfte, dem
Gebäude unangemessen. Der Fahrer parkte, stieg langsam aus und öffnete mir die
Tür. Neben ihm stand plötzlich, wie aus dem Nichts, ein älterer schlanker Mann
im grauen Zweireiher, mit scharfen, adlerhaften Zügen und hellen, graublauen
Augen.
    Er stellte sich, ohne mir die Hand zu reichen, als Keferloher vor,
Lukian Keferloher, von Brückens Privatsekretär. Kein sehr herzlicher Empfang,
sachlich, höchstens. Er entschuldigte sich für das Wetter, erstaunlich, und bat
mich, ihm zu folgen, öffnete eine Metalltür und stieg eine steinerne
Wendeltreppe voran, zwei, vielleicht drei Stockwerke nach oben. Wir betraten
durch eine sehr schmale Tür einen hohen, von elektrischen Kandelabern gedämpft
erleuchteten Raum oder besser: Saal, spärlich möbliert, mit holzgetäfelter
Decke. Vor den gelbgetönten Fenstern Schneegestöber. Leises Pfeifen im Gebälk,
wie ein Kind durch eine Zahnlücke Luft stößt, mit der Unterlippe als
Flatterzunge, fast ein wenig anzüglich in den Obertönen, aber die konnten
meiner Einbildung
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