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Eros

Eros

Titel: Eros
Autoren: Helmut Krausser
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Linke hat ja fast alles, was als Gerücht herüberwehte, als rechte
Propaganda abgetan. Klug sein hieß links sein, ich fand mich nicht unklug, will
deswegen nicht behaupten, daß ich ein Linker war, ich war weder rechts noch
links, ich war ein Unternehmer, ein Pragmatiker, aber gedacht habe ich manchmal
geradezu zwangsweise links, ohne es richtig zu merken. Von daher ging ich
meinen Ausflug etwas naiv an. Was sollte mir passieren? Die würden mich schon
nicht foltern, dachte ich, ich war ein unbescholtener Bundesbürger, jetzt
machen Sie wieder das Gesicht, aber jetzt dürfen Sie, spotten Sie
über meine Naivität, Sie haben recht.«
    Von Brücken lächelte, dann fühlte er einen heftigen Schmerz, krümmte
sich in Embryonallage, und obwohl er es vor mir zu verbergen suchte, biß er ins
Kopfkissen, um nicht zu schreien.
    Nach ein paar Minuten machte er einen Versuch, in seiner Erzählung
fortzufahren, mußte es aber bald bleiben lassen, klingelte nach dem Arzt und
winkte mich, unter müden Entschuldigungsgesten, aus dem Raum.
    Nachts kamen etliche Krankenwagen die Auffahrt herauf. Ich
erkundigte mich bei Lukian nach Alexanders Befinden. Er meinte, daß es längst
an der Zeit sei, ihn in ein Krankenhaus zu bringen, das habe der Chef
abgelehnt, stattdessen bringe man das Krankenhaus nun zu ihm, der Saal werde in
eine Intensivstation verwandelt.
    »Ich muß mit Ihnen reden«, flüsterte er und zog mich ins Freie.
    Wozu das?
    Er meinte, man könne nie sicher sein. Nicht einmal hier draußen, er
bat mich, weiter zu flüstern.
    »Seine Schmerzen werden schlimmer. Er wird künftig keine bewußte
Sekunde ohne Morphium ertragen können. Bitte bedenken Sie das.«
    »Inwiefern ist das wichtig?«
    »Nun –« Lukian Keferloher setzte zu etwas an, ließ es dann sein.
Vermutlich wollte er mir sagen, daß Morphinisten gelegentlich dazu neigen, die
Fakten leicht verklärt zu schildern. Vielleicht war er nahe daran, mir endlich
seine eigene Sicht auf die Dinge zu offenbaren. Aber er brach das Thema ab,
einfach so, das Kinn auf die Brust gesenkt. Hob die gefalteten Hände zum Mund
und biß hinein.

Achter Tag
    Tragweite
    Oberstleutnant Endewitt zeigt sich erstaunt, als er
telefonisch den Befehl erhält, jeder neuerliche Kontakt Schulz – Westermüller
sei mit der Internierung der Zielperson Schulz zu quittieren, was ohne Verzug und
Aufsehen zu geschehen habe. Bei einem Fluchtversuch solle hart durchgegriffen werden. Er habe für besondere Konstellationen Entscheidungsfreiheit .
Oberste Priorität sei nicht die Person, sondern die Geheimhaltung ihrer
Identität. Horst Endewitt wird blass, denn rein persönlich mag er Inge Schulz
ganz gern, und was ihm da nahegelegt wird, individuelle Entscheidungsfreiheit – das klingt, als wolle man sich des Problems auf konsequenteste Weise
entledigen, ohne klare Worte zu benutzen. Dergleichen hält er für übertrieben,
ja bedenklich, dennoch – als Soldat hat er dem Befehl Folge zu leisten. Er
beschließt, Inge Schulz eindringlich zu warnen, will ihr etwas Gutes tun, will
ihr ein paar Ohrfeigen verpassen, damit sie kapiert, was Sache ist. Die Tragweite
des Geschehens. Ihm wird kalt bei der Vorstellung, einmal mit Inge Schulz in
den Wald fahren zu müssen. Soweit will er es nicht kommen lassen. Und verflucht
sich, weil er sich dieser störrischen Frau gegenüber bisher so milde gezeigt
hat. Dann denkt er an sein Neugeborenes und lächelt. Man muß im Leben das eine
vom anderen trennen können. Sonst geht es nicht.
    Von Brücken empfing mich schwer geknickt . Das ist schon
der richtige Ausdruck. Wie ein Gastgeber, der sich für eine Peinlichkeit glaubt
entschuldigen zu müssen. Seine Stimme klang schwach und brüchig. Sein Atem ging
kurz.
    Es tue ihm leid zu sterben, er habe das, glaube er, noch nie gemacht
und also keine Erfahrung damit. Aber wir näherten uns dem Ende, nicht nur
seinem persönlichen, auch dem seiner Geschichte, solange halte er noch durch.
    Am nächsten Abend, denn soviel Zeit hat sich Endewitt
gelassen, findet er Inge Schulz nicht an ihrem Arbeitsplatz vor. Man hat den
greisen Expförtner dazu bewegen müssen, aushilfsweise einzuspringen, denn Frau
Schulz ist nicht zur Arbeit angetreten, ohne Angabe von Gründen, und ohne sich
krank zu melden. Das verschlimmert ihre Situation außerordentlich, denn derlei
muß, neuesten Direktiven zufolge, nach Berlin gemeldet werden. Muß. Müßte.
Vielleicht nicht sofort. Individuelle Entscheidungsfreiheit. Wenn die da oben
sich schwammig
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