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Eros

Eros

Titel: Eros
Autoren: Helmut Krausser
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ausdrücken, kann man das ebenso schwammig auslegen.
    Endewitt sucht Inge in ihrer Wohnung, wo sie nicht ist, sucht sie
morgens in der Kirche, wo sie glücklicherweise auch nicht ist. Inge Schulz geht
ihm auf die Nerven. Er muß sich jetzt um Wichtigeres kümmern.
    Der zweite Tag verstrich, ich streunte durch die kalte
Stadt, auf meiner dilettantischen Suche nach Sofie. Meine Aufenthaltserlaubnis
würde morgen ablaufen, und ich drohte auf der Zielgeraden zu scheitern.
Andererseits führte ich Tag und Nacht Selbstgespräche. Wie würde ich Sofie ansprechen? Wie würde ich mich vorstellen? Als Boris? Als jener Alexander von Brücken, den sie zu Hilfe
gerufen hatte? Würde sie in mir dann nicht beide Personen erkennen?
Wie ihr das erklären? Was würde ich ihr beichten? Sollte ich sie einfach so
bitten, schnell mal in meinen Kofferraum zu steigen?
    Aber dann sprach plötzlich jemand mich an, mitten auf der
Straße. Er stellte sich als Horst Endewitt vor, verschwieg seinen militärischen
Rang und bat mich, ihn in sein Büro zu begleiten. Ob er sicher sei, fragte ich,
daß er wirklich mich sprechen wolle. Er sei sicher. Ich leistete keinen Widerstand und folgte
diesem Herrn in ein Gebäude am Dittrichring. Wir betraten ein Büro, Endewitt
bot mir einen Stuhl und Kaffee an, er war die ganze Zeit sehr höflich und
respektvoll.
    »Wir sind hier unter uns, Herr von Brücken. Reden Sie bitte offen
und vernünftig mit mir, dann werde ich das auch so halten.«
    Ich war derart baff, daß ich erstmal überhaupt nichts sagte. Wie ein
beim Onanieren ertapptes Kind sah ich um die Ecke, die nicht da war.
    Endewitt genoß seinen Auftritt mächtig. Aber er wirkte besonnen und
keineswegs grundgrausam. Er bemühte sich, die Situation zu entspannen, hielt
mir sein Zigarettenetui vor die Nase und bat um meinen Paß, begutachtete ihn,
nannte ihn vorzüglich
gelungen . Er gab ihn mir sogar zurück.
    »Wie bin ich aufgeflogen?«
    Endewitt schmunzelte, als sei das etwas, was Erwachsene einfach
wissen und nur Kinder nicht kapieren. Er massierte sich mit zwei Fingern die
Mundwinkel.
    »Wir haben, seit Sie Ihre Beziehungen zu unserem Staat in so
löblicher Weise intensiviert haben, manches über Sie erfahren, auch einiges,
was uns nachdenklich gemacht hat. Sie sind zugegebenermaßen vorsichtig und
diskret vorgegangen. Aber eben doch nicht vorsichtig und diskret genug. Ihre
merkwürdige Obsession dieser Frau gegenüber war uns bekannt, schon seit 1967. Seit
Ihrer komischen Maskerade mit dem Taxi. Die Postkarte war ein Testballon. Wir
wollten einfach mal wissen, was daraufhin so passieren würde.«
    »Sofie hat mich gar nicht um Hilfe gebeten?«
    »Nein. Die Karte habe ich selbst geschrieben.«
    Es kam wie ein Schlag in die Magengrube. Vielleicht log er mich an.
    »Aber ich wußte bis dahin doch gar nicht, wie Sofie jetzt heißt –
warum haben Sie mir das mitgeteilt?«
    »Sie hätten es ohnehin bald erfahren. Das war nur eine Frage der
Zeit. Ich habe ein wenig – antizipiert .« Er schmunzelte, und meinte, sein Beruf
könne mitunter Spaß machen, kreativ sein, o ja.
    »Bin ich verraten worden?«
    »Also bitte. Auf diese Frage gibt es nie eine Antwort. Das wissen
Sie doch.«
    Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette, ich, um meine Starre
zu überwinden, tat es ihm nach. Wir sahen einander an und rauchten. Meine Knie
zitterten, und ich schlug die Beine übereinander, um es zu verbergen.
    »Und wie geht es jetzt weiter?«
    »Das ist ein Problem, ohne Frage. Unter anderem meines. Ihres
natürlich noch mehr.« Er drückte sehr sorgfältig die nur zu zwei Dritteln abgerauchte
Zigarette im Aschenbecher aus. Dann faltete er hinterm Kopf die Hände zusammen,
streckte den Kopf nach hinten, bis einige Fingerknöchelchen knackten. Und nahm
die Position des Rodinschen Denkers ein.
    »Sie haben, das läßt sich nicht wegdiskutieren, Straftaten begangen.
Urkundenfälschung, Einreise in die DDR unter falschen Angaben, man könnte
hinzufügen: versuchte Hilfe zur Republikflucht, naja, da kommt ein bißchen was
zusammen.« Er gönnte sich eine wohlkalkulierte Pause, bevor er fortfuhr.
»Andererseits –«
    »Ja?«
    »Andererseits – was sollten wir mit Ihnen anfangen? Ihre Leute
wissen Bescheid, wo Sie sind, einige jedenfalls, Sie sind ein Freund und Gönner
unsres Landes, wir würden schön dumm sein, Sie hier festzuhalten. Also – was
würden Sie selbst denn vorschlagen?«
    Was antwortet man in so einem Fall? Was hätten Sie
geantwortet? Versetzen Sie
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