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Eros

Eros

Titel: Eros
Autoren: Helmut Krausser
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entspringen, mich fror. Keferloher deutete in den Saal und
schloß kurz die Augen, wohl die knappste Art, eine Verbeugung anzudeuten.
    Der Richtung seines halb ausgestreckten linken Arms folgte
ich drei Schritte.
    So bekam ich ihn zum ersten Mal zu Gesicht. Von Brücken saß in einem
wuchtig verzierten Ledersessel, an einem ganz und gar leeren Schreibtisch aus
Kirschholz. Erhob sich nicht, um mich zu begrüßen, wiewohl er den Kopf schräg
legte, wie in Erwartung einer Qual.
    Ich trat mit schnellen Schritten, Selbstbewußtsein demonstrierend,
zu ihm hin.
    Als würde ihm, spät, aber doch, bewußt, daß der Empfang beleidigend
wirken könnte, senkte er den Kopf und hielt mir, ohne sich zu erheben, die
rechte Handfläche hin, sie zitterte leicht.
    Vor dem imposanten Kirschholztisch stand, beinahe niedlich, eine Art
Schemel, auf dem er mich Platz zu nehmen bat. Ich sah ihn an. Frech und tapfer,
wie ich es mir vorgenommen hatte. Kühl, leicht herablassend. Und er sah
wiederum mich an, anders, als ich es erwartet hatte. Müde, traurig, fast
bittend.
    Laut Brockhaus war er über siebzig Jahre alt, 1930 geboren. Mein
erster Eindruck war der eines entschlossenen Menschen, dessen Zeit immer schon
knapp gewesen war, die nun aber, noch knapper geworden, nach äußerster
Effizienz verlangte. Ich erwartete von daher, daß er sein Anliegen in
schnellen, zackigen Sätzen vorbringen würde, stattdessen musterte er mich,
lange schweigend, bevor er seufzend, fast erleichtert murmelte:
    »Nun sind Sie endlich da. Danke.«
    Ich wußte nichts zu erwidern, fühlte mich geschmeichelt, fühlte mich
korrumpiert, nickte, nickte wissend, obgleich es nichts zu wissen gab.
    »Sie sind von allen Künstlern, die ich kenne, der beste. Es ist mir,
lassen Sie mich das sagen, eine Ehre, Sie hier zu Gast zu haben.«
    Ich hätte nie gedacht, daß er einen solch sicheren Geschmack besaß.
    »Danke«, antwortete ich knapp und fügte, betont schnell und zackig
hinzu: »Ich bin sehr gespannt.«
    Seine Lider flatterten, als wäre ihm Staub in die Augen
geraten. Er rieb sich das rechte Auge mit einer diskreten Bewegung der
zitternden Hand und sah auf den leeren Schreibtisch vor sich. Dann legte er den
Nacken zurück und rieb ihn am Sesselleder, was katzenhaft wirkte und ein
bißchen – ordinär, habe ich damals spontan gedacht, heute würde ich es gequält
nennen.
    »Es wird Zeit, etwas festzuhalten. Nicht unbedingt mein Leben, aber
die Geschichte einer Liebe. Meiner Liebe. Sie ist bisher unerzählt, muß aber
erzählt werden, sonst geht sie verloren und ist nie geschehen. Ich möchte, daß
Sie ein Buch für mich schreiben. Einen Roman.« Er machte eine lange Pause,
vielleicht hoffte er auf eine schnelle, zackige Antwort. Mein Schweigen mißfiel
ihm, er hob, kaum hörbar seufzend, zu einer Erklärung an.
    »Was geschrieben steht, ist auf gewisse Art geschehen, es ist mein
Weg, etwas sehr Geheimes öffentlich zu machen. Der Mensch, den es betrifft, wird
nie davon erfahren, und doch ist es für mich, als würde er es erfahren, wenn
Sie es niederschreiben, allein, weil die Welt davon erfährt.« Erneut eine lange
Pause, weniger kalkuliert diesmal, er suchte nach Worten.
    »Was ich diesem Menschen angetan habe, wird so nicht entschuldigt
und nicht ungeschehen gemacht – aber durch die Veröffentlichung des
Verbrechens, durch die Bekanntgabe eines Unrechts, glaube ich, mindert sich das
Verbrechen doch. Sie haben das einmal gut in Worte gefaßt – das Ungeheuerliche wird
ins Statistische transportiert, ich mochte diese Stelle sehr in Ihrem letzten
Buch. Sie wissen, welche Stelle ich meine.«
    Ich nickte. Er nickte.
    »Wie dem auch sei. Ich besitze, aus irgendeinem Grund, Vertrauen zu
Ihnen. Sollten Sie den Auftrag zu meiner Zufriedenheit abschließen, werde ich
verschwinden. Es wird sein, als hätten wir uns nie getroffen. Ich habe nicht
mehr lange zu leben. Sie können das Manuskript nach meinem Tod veröffentlichen,
mit geänderten Namen, nach einer gewissen Zeit, es wird als Produkt Ihrer
Erfindungsgabe gelten, vom Makel der Lohnarbeit befreit. Sie werden mir dankbar
sein, vertrauen Sie mir auch.«
    Seltsames ging vor. Von Brücken war aufgestanden und
langsam um meinen Schemel herumgegangen. Seine Stimme war fester und fester geworden,
zuletzt war sie von der gewinnenden Art eines Henkers, der dem Delinquenten
versichert, er wolle es ihm so einfach machen wie möglich, es helfe ja nichts,
man müsse da jetzt durch.
    Er verfügte über die Gabe, an manchen
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