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0720 - Teufelsnächte

0720 - Teufelsnächte

Titel: 0720 - Teufelsnächte
Autoren: Claudia Kern
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Highford Cemetery, Manchester
    Dezember 1981
    »Satan, erhöre uns«, riefen die Stimmen mit alkoholträchtiger Schwere. »Wir sind deine Diener.«
    Ian Pritchard lag mit dem Rücken auf der weichen Erde eines frisch aufgeworfenen Grabhügels. Sein schwarzer, schwerer Ledermantel schützte ihn vor der Kälte. Er hörte den Rufen eine Weile zu, dann drehte er den Kopf und betrachtete die schwankenden Gestalten, die sich einige Meter entfernt um ein Grab versammelt hatten. Der Name auf dem Stein war längst verwittert und nicht mehr zu erkennen, aber irgendjemand hatte ihnen erzählt, dass darunter die Überreste von Henry »Black Devil« Wilson lagen, von dem der Satanist Alistair Crowley angeblich zum Magier ausgebildet worden war. Ian glaubte zwar nicht daran, doch die anderen, mit denen er wie jeden Freitag zum alten Friedhof gezogen war, waren von der Idee wie besessen.
    Er wandte sich von ihnen ab, zog kräftig an dem Joint, den er sich für diesen Abend aufbewahrt hatte und betrachtete den klaren Sternenhimmel. Ihn interessierten die satanistischen Gesänge seiner Freunde nur wenig. Sie mochten vielleicht darauf hoffen, Hilfe von den Mächten des Bösen zu erlangen, aber Ian war Realist, auch wenn man ihm das in seinen schwarzen Goth-Klamotten nicht ansah. Es gab keinen Satan, der einem Macht und Reichtum schenkte, es gab nur die Menschentrauben vor den Arbeitsämtern und die unerbittliche Politik Maggie Thatchers. Gerade mal zwei Jahre war sie im Amt, aber in dieser Zeit hatte sich Manchester in eine Stadt der Arbeitslosen verwandelt. Ians Eltern gehörten dazu, ebenso wie er selbst.
    Was mache ich nur mit meinem Leben?, dachte er unter dem kalten Licht der Sterne. Ich bin siebzehn Jahre alt, und ivas sind meine Perspektiven? Kiffen, Bier trinken und auf die Ankunft des Antichristen hoffen… Da muss doch mehr sein.
    Seine tastenden Finger fanden den Lautstärkeregler des Cassettenrecorders und drehten ihn hoch.
    Bauhaus: Bela Lugosi's Dead.
    Wie dieses ganze scheiß Land, ergänzte Ian in Gedanken und setzte sich auf.
    »Ihr solltet lieber darum bitten, dass Satan die Thatcher umlegt!«, rief er einem Impuls folgend.
    Die anderen antworteten nicht, wiederholten nur stur ihr Gebet. Einer von ihnen, ein fünfzehnjähriger Halbinder namens Johnny, schwenkte eine tote Katze, die sie auf dem Weg zum Friedhof am Straßenrand gefunden hatten. Debbie und Rachel standen neben ihm und traten frierend von einem Fuß auf den anderen. Ian sah ihnen an, dass sie am liebsten zurück in einen der Clubs gegangen wären und sich nur vor Kenneth keine Blöße geben wollten.
    Sein Blick fiel auf den Anführer der kleinen Gruppe, Kenneth, den selbsternannten Satanspriester und Magier. Er kniete auf dem Grab und streckte die Hände dem Himmel entgegen, während er um den Beistand der Hölle bettelte. Ian war sicher, dass Kenneth die Ironie nicht bewusst war.
    »Was für ein Idiot«, murmelte er und zog ein weiteres Mal an dem Joint. Der Rauch stach in seinen Lungen. Mühsam unterdrückte er ein Husten.
    »Satan!«, schrie Kenneth mit überkippender Stimme. »Bitte erhöre deine Jünger. Komm zu uns!«
    »Wartet ihr schon lange?«
    Ian verschluckte vor Schreck den Rauch und begann zu husten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er endlich wieder Luft bekam und aus tränennassen Augen aufsah. Seine Freunde hatten sich umgedreht, standen wie eine dunkle Mauer zwischen dem Grab des Unbekannten und dem Fremden, der die Frage gestellt hatte.
    Er war nicht älter als sie, höchstens achtzehn und trug die elegante schwarze Kleidung eines Goth. Einige Schritte hinter ihm bemerkte Ian ein Mädchen mit weiß geschminktem Gesicht und dunklen langen Haaren.
    Kenneth trat aus der Gruppe vor.
    »Verschwindet«, sagte? er. »Das ist unser Friedhof.«
    Der Fremde strich sich lächelnd über den kahl rasierten Schädel. Sein Haut war so bleich wie das Gesicht seiner Begleiterin.
    »Satan gefällt es nicht, wenn Menschen vor ihm knien. Sein Weg ist der des Stolzes und der Kraft. Betteln ist für Schwächlinge.«
    Seine Stimme klang dunkel und moduliert mit einem leichten Akzent.
    Ian stand betont langsam auf. Er war der Größte und Kräftigste in der Gruppe und überragte den hageren Unbekannten um mehr als eine Handbreite.
    »Mach keinen Ärger«, sagte er. »Wir sind drei gegen einen.«
    Wie es sich bei einer Schlägerei gehörte, schloss er die Mädchen aus der Aufzählung aus.
    Der Fremde sah ihn aus leblos wirkenden, schwarzen Augen an. »Ich
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