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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Breite zu ziehen, mit Zigarette zwischen den Lippen. Ach, sagte er schließlich, ich käme da schon noch mal hin. Dann bat er mich, ihm die Funktion des Klappbetts zu erklären.
    Und M.s letzte Worte, Worte am Telefon, bevor seine Verflüchtigung an mir vorbeiging, waren mehr ein Aufruf als eine Bitte: Pack unsere Dinge in einen Roman. Und halt die Ohren steif – eine Formel, die er schon immer bei Abschieden gebraucht hatte, um den Gegenwind anzudeuten, der für ihn das Leben selbst war. Seine Ohren und auch alles Übrige sind bald darauf zu Staub geworden, nur der Aufruf blieb bestehen; und unsere Dinge, das waren die einer Freundschaft von absurder Tiefe, bis in die Blutgefäße des Denkens, absurd, weil das spätere Leben diese Zeit überschrieben hat, auch wenn die alten Buchstaben noch bei jeder Gelegenheit durchscheinen. Ein Roman müsste das sorgfältig trennen, für den Übriggebliebenen eine Arbeit, bei der er nur das Beste versuchen kann und das vorläufig auch nur von Hand, nach einer Augenoperation, die jeden Bildschirm zur Sonne macht. Ein Schreiben in verdunkelter Wohnung, ohne recht zu sehen, was da aufs Papier kommt – klar ist nur, worum es geht, um eine lang zurückliegende, unerledigte Liebe. Also geht es nicht weniger um das Heute, um eine Chronik der laufenden Erinnerungen entlang des laufenden Geschehens. Erst vor kurzem nahm mich nach einer Lesung ein Mann beiseite und kam gleich auf M. – sie seien Kollegen gewesen, im alten Klinikum Steglitz (jetzt Benjamin Franklin), Abteilung Neurochirurgie. Und ich erfuhr, dass M. in Zigarettenpausen gern meine Postkarten von sonstwo gezeigt hatte, die Grüße seines Schriftstellerfreundes. Eine ebenso gute wie schmerzliche Neuigkeit, eingeklemmt zwischen vollendeter Vergangenheit und unvollkommener Gegenwart, wie dieses Buch.
    Als vorige Woche – in der Woche nach Ostern – ein Päckchen aus Berlin mit einigen von M.s Lieblingsbüchern und einer meiner alten Karten als Vorhut oder Probesendung in Frankfurt eintraf, kam ich gerade mit einem Verband über dem linken Auge aus dem Krankenhaus Höchst, Abteilung Mikrochirurgie. Es war schon der zweite Eingriff an diesem Auge, nach einer ganzen Augenöffnung vor einigen Jahren, um eine abgelöste Netzhaut anzulegen, und auch auf das andere ist kein Verlass mehr – M. hatte meine Augen früher, aus seinem Instinkt für Schwächen, mit Vergnügen heruntergemacht, etwa nach Trinknächten, wenn ich in unserem Zweierzimmer wie blind war vor Übelkeit, während er schon eine rauchte und sein Tonband lief. Vierzig Jahre später, bei einem unserer letzten Telefonate – er im Krankenhaus, als Patient, ich an meinem See –, hat er das Urteil revidiert, aufgrund eines Zeitungsfotos, das den Autor ohne Brille in günstigem Licht zeigt: mit zwei Augen, die nichts taugen – und sein Lachen auf diese Selbsteinschätzung hin war nur noch ein raues Keuchen, bis er wieder Luft hatte und von Bastardaugen sprach. Tatsächlich taugen sie momentan kaum zum Lesen meiner alten Karte (aus Paraguay), da jedes Licht zu viel ist. Bleibt nur ein Blick auf die zugesandten Bücher, vier Ausgaben von Hölderlins Hyperion , zwei Fassungen von Jüngers Abenteuerlichem Herzen und eine Erstausgabe von Benn-Gedichten, das alles, ohne dass ich darum gebeten hätte. M.s Gefährtin seiner letzten zwanzig Jahre wusste um unsere ruhelos ruhende Freundschaft, die ihren Grund nur in dem Scheinprivileg hatte, dass wir gemeinsam jung waren und nebeneinander den Geist und das Lieben entdeckt haben, all das sehr früh, zerstörerisch früh, heilbar erst Spät im Jahre , wie es bei Benn heißt, in einer Strophe mit M.s doppeltem Ausrufezeichen am Rand. »Spät im Jahre, tief im Schweigen / dem, der ganz sich selbst gehört, / werden Blicke niedersteigen, /neue, Blicke, unzerstört.«

2
    Mehrmals in der Woche jetzt mein Trommeln mit den Fäusten gegen die Schlafzimmerwand, die auch Schlafzimmerwand der Nachbarwohnung ist, seit einigen Monaten von einem Unternehmen für Sprachreisen im Haus für ausländische Schüler und Schülerinnen angemietet, mit der Folge nächtlicher Feiern bei jeder Gelegenheit. Gut ein Dutzend junge Leute, Mexikanerinnen, Spanier, Koreaner und das Lauteste, was Italien zu bieten hat, amüsieren sich nebenan nach Kräften, bis ich trommle oder in den Flur trete und in drei Sprachen erst um Ruhe bitte, dann um Ruhe brülle und einer von ihnen den Kopf zur Tür hinausstreckt, um den Alten im Hausmantel zu beruhigen; und heute
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