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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche
Autoren: Bodo Kirchhoff
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letzte Gelegenheit ausgeschlagen, uns noch einmal zu sehen); wir haben über unsere seltsamen Wünsche gelacht und aufgelegt.
    Das zweite Päckchen oder Paket, das M.s Gefährtin – mir fällt kein besseres Wort für sie ein – aus dem Nachlass für mich zusammengestellt hat, liegt geöffnet auf dem Boden. Neben weiteren Büchern, alten Rilke-, Fontane- und Heine-Ausgaben mit feinen Anstreichungen (Bleistift), findet sich eine Mappe mit Fotos von M., aufgenommen von der Gefährtin. Man sieht ihn, wie H. in einem formlosen Brief erläutert, einen Tag vor seinem Ende im Ruderkahn auf dem See, ernst bis in die Haarspitzen, und eine Stunde nach dem Tod vor einer Waldhütte auf dem Boden, schon mit einem Tuch bedeckt, nur die nackten weißen Füße stehen hervor. Und in dem zweiten Päckchen fand sich auch eine von H. zusammengestellte Liste aller gebundenen Bücher, die er hinterlassen hat, neben Tausenden von Taschenbüchern und dreißig Kartons mit Kunst- und Fotobänden, und der Empfänger fängt auf Vorschlag der Absenderin damit an, seine kleinen Kreuze an den Rand der mehrseitigen Liste zu machen, als sollte damit der Tod des Freundes noch einmal und gleich vielfach bestätigt werden. Und nach einigen Kreuzen will ich diese Bestätigung auch nicht fortsetzen, die Verwalterin der Bücher soll die Auswahl treffen, sie weiß genug über das Phantom aus Frankfurt, sonst hätte sie keine so gute Zusammenstellung alter und neuester Fotos von M. geschickt, alle mit dem Blick, der mir schon bei unserer ersten Zigarette am Fenster unnötiges Kopfzerbrechen bereitet hatte. Ein oft unbeteiligter oder gegenläufiger Blick, wenn er gelächelt hat mitsamt seinem Schnurrbart: nahezu lebenslanger Tribut an den Vater. Und über dieser Bürste seine pfeilförmige Nase, passend zu den angeschrägten Augen in der Farbe von Harz; darüber eine breite Stirn, die mit den Jahren immer höher wurde. M.s Haar war früher dunkel und kraus, am Ende waren es nur noch krause weiße Reste, um so dichter dafür der Bart; seit Mitte Dreißig kam er vom Unrasiertsein immer weniger los. Als sein Bart noch schwarz war, glich er den Abenteurern in John-Huston-Filmen (und Männer, die auf Verwegenes standen, liebten ihn, wie ich hörte); später, mit weißem Gestrüpp an den Wangen, hatte er etwas von einem Astronomen, der die Sternwarte kaum noch verlässt. Aber sein Aussehen war für ihn nie ein Freibrief zur Flachheit, im Gegenteil; erst die böse-gescheite Art, damit umzugehen, sicherte ihm die Vorteile daraus. Er fiel auf, ohne aufzufallen, er musste sich nie in Szene setzen, sein Dünkel hatte auch mit dieser Wirkung zu tun, ebenso der Argwohn gegenüber jeglichem Lob. Der Blick in den Spiegel konnte ihn aufrichten, aber nie letzte Zweifel ausräumen, ob er das auch wirklich sei. Und so hat er bis heute mein Freundesschema geprägt – gute Figur, wacher Verstand.
    Die eigene Ungeduld ist so groß, dass sich kaum ein Wort lesbar zu Ende schreiben lässt, meine Gedanken sind flinker als die Hand; dazu die vielen schwebenden Punkte aus der Tiefe des Auges – und dann und wann kein weißer Elefant, aber eine Art grauer Flugzeugträger, der durchs Bild zieht. Der Schreibende sieht nur, was er gerade schreibt, und auch das noch verschwommen, nachmittags auf einer im Erdboden verankerten Bank, gestiftet von der Allianz-Versicherung, einer Sitzgelegenheit am Schweizer Platz, Frankfurt, Sachsenhausen. Die neue Linse – künstliches Teil Nummer zwei im Auge, nach einem Silikonpfropfen, der die Netzhaut andrückt – kann sich leider nicht mehr an die alte gestützte Netzhaut anpassen, und das gesündere Auge will nicht die Gesamtarbeit verrichten, ganz zu schweigen von einem Hirn, das sich gegen das Neue instinktiv auflehnt. Die Kunstlinse ist gleichsam der Fremde im Auge, und das Hirn antwortet derzeit schon nach zwei Stunden Schreiben mit Kopfweh. Die Tabletten liegen bereit, sie liegen gleich neben dem kleinen silbrigen Stick, der alles enthält, woran der Autor im Moment nicht arbeiten kann; er ist kleiner und leichter als die Tablettenschachtel und könnte ein Lebenswerk aufnehmen oder in sich verschwinden lassen, und um dem irgendwie Rechnung zu tragen, hat der Besitzer ein Stück Papier mit der E-Mail-Adresse seiner Frau auf die Oberseite geklebt.
    Auf dem Rückweg in die Schreibwohnung von weitem Herr N., beliebter junger Lehrer an dem Gymnasium, das unsere Kinder besuchen, doch für den Vater zeichnet ihn etwas ganz anderes aus, eine schon
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