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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche
Autoren: Bodo Kirchhoff
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weiterlesen, folgte ihm aber nach einer Minute. Auf der Straße war er dann schon verschwunden, ich fing an, ihn zu suchen, und fand ihn in der ersten Café-Bar, die geöffnet hatte. Er trank im Stehen einen Doppio, die Zigarette in der Hand, die auch die Tasse hielt, und kaum hatte ich mich zu ihm gestellt, erzählte er von einem ihm bekannten Neurologieprofessor, Privatdozent auch für Philosophie und Kunstgeschichte, der offenbar dem Sinnlosen des Lebens gleichwohl einen Sinn gegeben hat, und den es selbst, als Mensch aus Fleisch und Blut, vermutlich gar nicht gab. Denn weder nannte M. einen Namen, noch einen Ort; und er war auch später nie mehr auf diese Figur zurückgekommen. Aber an dem Sommermorgen in der kleinen Bar von Ravello hatte er seinen Helden beschrieben.

4
    Eine Arbeitswohnung, nachts; seit bald einem halben Menschenleben das Schlafen und Schreiben in zwei Räumen plus Küche, neunter Stock, in einem eher häßlichen Klotz in der Gartenstraße. Und doch gibt es dort, auf der rückwärtigen Seite, die Wohnungen mit dem schönsten Blick auf Frankfurt, vom Dom über die Hochhäuser bis zum Messeturm; links vor der Fensterfront der Schreibsessel (für bessere Zeiten, den Laptop auf den Knien), rechts davor ein alter Tisch. Und auf dem Tisch ein handgeschriebener, nicht abgeschickter Brief an M. aus der Ravello-Zeit, bis heute in einer Lade verwahrt, neben den Tagebuchheften aus der Schulzeit. Manche Worte lassen sich nur raten, die Schrift wäre eine Zumutung an die Freundschaft gewesen, ebenso der Inhalt; denn es geht da um eine geplatzte Urlaubsreise nach Griechenland, die über Ravello geführt hatte. Der Brief ist eine Antwort auf den Streit über das richtige Studium oder richtige Leben, der am Ende ein Streit über Schreiben oder Handeln war, in einer Zeit, die M. nicht des Schreibens für wert hielt, jedenfalls nicht in unseren Breiten. Egal, was man dort schreibe, sagte er – der Brief zitiert das –, man bleibe klein, weil alles um einen klein sei, auch Leute, die über das Geschriebene befinden würden. Und dann hatte er über diejenigen hergezogen, die als Autoren noch von einer großen Zeit profitiert hätten, jetzt aber wie die Maden im Speck lebten, und ihre frühere Schärfe zum Theater machten. Er ließ nicht einen deutschsprachigen Autor der damaligen Gegenwart, Anfang der Siebziger, gelten, und grub auch einem heimlich Schreibenden damit das Wasser ab. Die Antwort konnte nur schriftlich erfolgen, als Brief von neun Seiten, und blieb dann doch im Rucksack, nachdem wir uns auf Korfu, gleich nach Ankunft der Fähre aus Brindisi, getrennt hatten (der eine fuhr in seinem roten Volvo mit der Schwester des Freundes weiter, der Briefeschreiber setzte per Bus mit seiner Begleiterin die Reise fort). Eine formulierte, aber nie erteilte Antwort über das Schreiben in kleiner Zeit, denkbar nur durch Rücksichtslossein gegenüber sich selbst und allen, die einem nahe seien. »Vom Eigentlichen als dem Unmöglichen erzählen, ist auch ein Handeln«, steht da; und zuletzt ein Satz, der uns wieder zusammenbringen sollte nach dem nächtlichen Streit: »Die wahren Schweine sind die Schicksalsschwindler, die Leute mit der falschen Tiefe!«
    Vielleicht war es das weit unter uns liegende mattschwarze Meer, darauf die Lichtpunkte von Fischerbooten wie flüchtige Sternzeichen, das den Streit auf dem Dach in eine falsche Höhe getrieben hatte, die Höhe, in der einem jeder Gedanke wichtig erscheint, und je weiter die Nacht vorrückt, umso wichtiger; und am Ende war alles in den Wind gesprochen. Bei einem seiner wenigen Anrufe von einem Krankenhausbett aus kam ich noch einmal auf diese Nacht zurück, und er konnte oder wollte sich daran nicht erinnern. Statt dessen zitierte er den zentralen Satz aus dem Roman Wo das Meer beginnt und bewies einmal mehr sein Talent zum Lesen, »Das Verlangen ist der Ort, an dem wir uns ruinieren, die Spielbank der Seele.« Er wollte wissen, wie sehr oder unheilbar auch ich mich ruiniert hätte, das Unheilbare war der entscheidende Punkt, und ich sagte, meine frühen Erzählungen seien ein Ausdruck dieses Unheilbaren, und ruiniert hätten sie den Ruf des Autors, aber das ließ er nicht gelten: einer, der am Ende mit diesem Ruf und von diesem Ruf leben könne, sei ja nicht ruiniert, meinte er, und irgendwie waren wir damit doch bei der Nacht von Ravello. Ich erinnerte ihn zum zweiten Mal an den Streit auf dem Dach, für nichts und wieder nichts im Rückblick, und er sagte, ihm
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