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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche
Autoren: Bodo Kirchhoff
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bekannte Gefühl des ganz und gar Sinnlosen.
    Abends ein Anruf nach Rottach-Oberhof am Beginn des Kreuther Tals, deutsches Sibirien in diesen Wochen und ganzjährig Tal der Stille, wo die besseren Altenanlagen halb verborgen zwischen den Tannen liegen; am anderen Ende meine Mutter. Sie hat den Winter auf ihre Weise überstanden, mit Spaziergängen im Keller, weil draußen der Schnee zu hoch war. Ihre Stimme klingt aufmunternd, hell – ich höre meist schon beim ersten Wort, wie es ihr geht, wie sie die Balance hält. Wir besprechen einen in den nächsten Wochen möglichen Besuch; dazwischen liegen noch einige Reisen meinerseits, die sie beunruhigen. Am Schluss dann die Erwähnung der Freundschaftsnotizen und von ihr nur ein Muss das sein. Viel hatte sie nie für M. übrig, sie sah ihn als Verführer ihrer Tochter, der auch mich umgarnt hat, als den Geist der stets verneint und andere in seine Netze zieht, sie mit Hirngespinsten ködert und zu Komplizen macht. Ich weiß das, und wir reden darüber nicht weiter; ich wünsche ihr, dass der Schnee endlich schmilzt.
    M. hatte immer nach Gleichgesinnten gesucht, oder besser gesagt, nach Leuten, die sich vielleicht zum Gleichgesinntsein anstiften ließen, nur um mit ihnen dann eine dunkle Idee zu teilen, nicht um sie in die Tat umzusetzen, und an Leuten, die nicht nach dunklen Ideen aussahen, lag ihm besonders. Neulich kam nach einer Lesung in Freiburg unser letzter Internatsleiter auf mich zu, damals auch der evangelische Schulpastor, inzwischen ein alter Herr, der sich mit Naturheilkunde befasst. Ich erwähnte M.s Tod und wollte ihn gerade daran erinnern, von wem ich überhaupt sprach, da kam er mit einer eigenen Geschichte, die mir M. nie erzählt hatte. Die beiden waren sich in Freiburg auf der Straße begegnet, M. Ende zwanzig, kurz vor dem Examen, und der gute Herr von H. noch immer im Kirchendienst, aber an anderer Stelle. Man ging dann zu ihm nach Hause, erfuhr ich, und dort sei unser Freund nur hin und her getigert, pausenlos rauchend und mit einem Stock oder Regenschirm in der Hand, und habe ihn dafür gewinnen wollen, gemeinsam ein Haus in die Luft zu jagen, zum Beispiel eine Kirche. Und schließlich sei ihm diese Idee zwar nicht naheliegend oder gar richtig erschienen, aber irgendwie logisch.
    Tagsüber Arbeit an einer Rede für den Impresario L. zu dessen Sechzigstem, den wir in einer Woche in Venedig feiern werden. Er hat ein großes Herz und will dafür von aller Welt geliebt werden, jemand, der für das Maßlose eine Form gefunden hat, im Gegensatz zu dem, der schreibt und am Ende immer das Unvollkommene vor sich hat, wie es zum fließenden Wesen des Schreibens gehört, Festschriften eingeschlossen, auch wenn man sie auf feinem Papier drucken lässt. Ich mag den Impresario, seine Herzlichkeit kann mich überwältigen, ja gelegentlich kommt sogar der Wunsch auf, mit seinem Leben zu tauschen und zur Not der Sklave von Madonna zu sein. Meine Frau (von mir kaum so genannt und hier mit dem U. abgekürzt, das schon die warme Hälfte ihres Namens enthält) liest abends die Rede und weint eine Träne: Sie bekäme so etwas nie. Falsch, sage ich, es ist nur umständlicher formuliert.
    Die Liebeserklärung in einer Ehe ist die uferlos oder lebenslang kommentierte Art und Weise dieser Beziehung, die außer den Beteiligten niemand versteht. Immer wieder unser Ausholen und Erklären, wer der andere für einen sei – mit einer einmaligen Liebeserklärung ist es in der Ehe nicht getan. Die Erklärung, weshalb man zusammen ist und zusammen bleibt, ist die dauernde Begleitmusik dieses seiltänzerischen Zustands, sie verleiht ihm künstliche Stabilität mit einer ständigen Liebesrede, mal leiser, mal lauter, mal zärtlicher, mal ruppiger, ein verbaler Coitus ohne Ende, ohne Höhepunkt; der Höhepunkt, das ist die Dauer. Und nichts schreckt den Ehegegner oder Eheflüchtling mehr ab als die Dauer. Er glaubt, die Masse der gemeinsamen Zeit müsse ihm den Atem rauben, ihm fehlt jedes Empfinden für den Raum, den diese Masse öffnet. Ich kenne U., seit ich vom Schreiben lebe (dreißig Jahre) und kann nur mit dem Schreiben leben, weil ich U. kenne. Wir waren in meiner Arbeitswohnung, als sie ihre Träne geweint hat, sie hat mich besucht, das kommt an Sonntagen vor. Solche Stunden sind das Ende und zugleich der Anfang aller Erklärungen in einer Ehe; das Intime mit dem uns Nächsten hat etwas Reines und Wüstes zugleich und folglich auch etwas Unsagbares, darin liegt seine Kraft.
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