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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche
Autoren: Bodo Kirchhoff
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in einer Klosterzelle. Und an dieses Gefühl schließt sich das Bild an, wie ich mit M. am nächsten Tag darüber geredet habe, während die zwei Schwestern in einem Laden am Anfang der Via Condotti waren, der damals schon ein Kettenkleid und andere dekadente Stücke in der Auslage hatte und den zu betreten für uns nicht in Frage gekommen war. Ich erzählte ihm von den drei Worten, wie man von einem Zauber oder Bann erzählt, und M. – wahrscheinlich hatte er in der Nacht dieselben Worte gehört – führte sie darauf zurück, dass wir Stunden zuvor Mut gezeigt hätten. Wir waren nämlich zu spät nach Hause gekommen, das Kloster war schon von innen abgeriegelt, und er und ich sind über die Regenrinne in ein offenes Fenster gestiegen, um die Schwestern unten hereinzulassen. Das war seine Theorie, und ich schloss mich ihr nur vorsichtig an, sie schien mir nicht alles zu erklären: so einfach, nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung, wollte ich die Liebe nicht erklärt wissen. Wir standen also auf der Via Condotti und sahen durch die Scheiben des dekadenten Geschäfts, darin die beiden Schwestern, etwas verloren mit den Kettensachen, die man ihnen vorgelegt hatte, und sprachen darüber, welche Ursache die Worte Ich-liebe-dich haben könnten. Er sah die Dinge aus Kinosicht, als Reaktion auf eine Tat, ich sah darin eher etwas Religiöses, eine Art Segen, dem man sich nicht entziehen durfte, und erst das heftige Winken der Schwestern hat den Disput beendet. Die beiden wollten unseren Rat, wir sollten in den Laden kommen, und M. überwand seine Bedenken, die nur gespielte Bedenken waren; denn er betrat dann den Laden wie einer, der dort täglich einkauft, prüfte die Qualität der Kettenhemden und Miniröckchen und sagte Scheiße, und schon waren wir alle vier wieder auf der Condotti. Und sein ersticktes Lachen legte sich erst, als wir die Spanische Treppe hinaufliefen, es ging vermutlich in Keuchen über, weil diese Treppe bekanntlich viele Stufen hat, und oben angekommen, zog ich ein Buch aus der Tasche, den einzigen Roman von Tennessee Williams, Mrs. Stone und ihr römischer Frühling . Während M. auf dieser Reise für die Kunst zuständig war, war ich es für die Literatur und las darum die Stelle vor, die an der Spanischen Treppe spielt, wenn Paolo, der Held, seinen Mantel öffnet, um Mrs. Stone, die dort eine Wohnung besitzt, mit seiner Blöße zu verwirren. Und nach der Lesung lag das, was nachts gesagt worden war – auch bei ihm, ich bin sicher –, sozusagen in der Luft; zu viert Hand in Hand wie eine Kindergartengruppe, die sich lieb hat, gingen wir Richtung Villa Borghese, um uns dort die Skulpturen anzusehen, vor allem den David mit der Schleuder – M.s strenges Kulturprogramm, dem wir uns unterworfen hatten, wie man sich heute einer Soap unterwirft.

5
    Der Sehinvalide und für sein Empfinden Arbeitslose ist dankbar über jeden Termin, der den Tag ordnet, zum Beispiel eine neuerliche Sitzung beim Optiker, elf Uhr, und später am Tag das DFB-Pokalfinale, Eintracht Frankfurt–Bayern München. Und der Optiker spricht aus, was Klinikärzte lieber verschweigen: wie sehr die Kunstlinse das Gesamtsehen stört. Die gewonnene Sehschärfe vergewaltigt das Hirn, das die Geschmeidigkeit der natürlichen Linse gewohnt war. Man müsste also auch das Hirn ersetzen oder mindestens Teile davon umtrainieren, wie man nach dem Verlust eines Menschen bemüht ist, die inneren Dinge neu zu sortieren, damit die Abwesenheit erträglicher wird oder der Verlust am Ende zu einer Art Gewinn, künstlich wie das Sehvermögen durch die implantierte Linse und dennoch ein Vorteil.
    Nachmittags etwas Arbeit, erste Wiederannäherung ans eigentliche Schreiben, Gedanken zu einer Novelle, die seit Tagen das Einschlafen erschweren. Der unehrenhaft in den Ruhestand verabschiedete Politiker oder Vorstand, im Nebenberuf auch Ehemann, Vater und Großvater, ein Dompteur ohne Manege, der zum ersten Mal nach Jahrzehnten wieder einen Geburtstag im kleinsten Kreis feiert, nur mit Frau und Tochter und einem achtzehnjährigen Enkel, den er kaum kennt. Während Frau und Tochter für den Jubilar ein Geschenk kaufen, fahren der Hausherr und sein Enkel – ein Junge, der später Filme machen will und dem illustren Großvater nur mit einem Camcorder gegenüber tritt – in einem Motorboot auf meinen unversteckten italienischen See, und der Jubilar deutet vor der Kamera sein großartiges versautes Leben um. Die ersten Sätze auf dem Papier: und gleich das
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