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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche
Autoren: Bodo Kirchhoff
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gebucht – die eine Person bekam alles geschenkt, die andere musste sich das Geld dafür auf dem Bau verdienen.
    Oft war es der Anblick von etwas Schönem, der uns wieder reden ließ, oder auch nur ein Wort, das dafür stand und M. aus der Reserve holte; und manchmal kam beides zusammen, wie in dem Namen Ravello, der schon bei unserer ersten Zigarette gefallen war. Diese Ortschaft, hoch und steil über der Küste von Amalfi, eine Reihe alter Villen und kleiner Hotels mit Sicht auf das Meer wie auf einen herabgeholten Himmel, zählt bekanntlich zum Schönsten, was das an Schönheit reiche Italien zu bieten hat; Ehepaare, die sich noch bei der Fahrt auf gewundener Straße angeschrien haben, sitzen nach der Ankunft stumm auf ihrer Terrasse, überwältigt von etwas Drittem. Und die zwei Schulfreunde saßen einige Jahre nach Teneriffa nachts auf dem Dach einer Pension und wagten es nur flüsternd, einen Streit, der sie schon seit Tagen beschäftigte, fortzusetzen. Der eine – der auf keinen Fall vorhatte, im Leben zu scheitern – sagte zum anderen – dem es letztlich nur ums Scheitern ging –, es sei idiotisch, Medizin zu studieren, wenn man sich für andere Dinge weit mehr interessiere. Werde Journalist, flüsterte ich (in meiner Erinnerung), Fotoreporter in Vietnam oder Südamerika, mach gute Bilder, zeig das Leben, retten können es auch andere. Und M., mit Zigarette im Mund, ohne sie anzustecken, sah nur aufs schimmernde Meer hinunter und stieß in kleinen Schüben Luft aus der Nase, anstelle eines Lachens; und mehr denn je erschien er mir als einer, der auch ganz ohne Licht in jeder beliebigen Richtung seinen Schatten wirft.
    Heute, beim wöchentlichen Einkauf, landeten Zigaretten im Korb, die unveränderten Roth-Händle (unverändert bis auf den neuen Sterbehinweis), und nun riecht der Käufer an ihnen, um etwas vom Aroma dieser Jahre aufzunehmen; ich rauche noch keine, das hat Zeit, im Moment genügt der Tabakkrümel auf der Zunge und das Haften des Papiers an der Unterlippe, wenn man zu lange zögert mit dem Anzünden. M. hatte immer Reval geraucht, aber gelegentlich auch meine Roth-Händle, vor allem in der Zeit, als wir unsere Köpfe am dichtesten zusammengesteckt hatten: für das erste und einzige Exemplar einer Schülerzeitung mit dem Bildungsnamen Hermes (heute würde man wohl an Mode denken), ein dem Gott der Diebe gewidmetes Blatt, das sich immer noch sehen lassen könnte. M. hat sich dort, keine drei Jahre nach dem Mauerbau, für zwei deutsche, mit ihren verschiedenen Gesellschaftsformen wetteifernde Staaten ausgesprochen, für einen gegenseitigen Respekt, der die deutsche Wiedervereinigung überflüssig machte – ein Gedanke, den ihm die geflüchteten Ostlehrer an der Schule noch jahrelang heimgezahlt haben. Und der damals schon schreibende Freund hat sich in einem Artikel für die nicht bevormundete Liebe ins Zeug gelegt, ohne erfahren zu haben, was Liebe ist; diese Erfahrung kam erst nach den Worten, ebenfalls wetteifernd, und in jeder Phase begleitet von den Zigaretten, in deren Päckchen immer ein Zehnpfennigstück lag, um das Günstige des Preises hervorzuheben und damit auch irgendwie, wenn man ein Roth-Händle-Raucher war, das Erschwingliche der Liebe.
    Die beiden Freunde gingen in der Schülerzeitungszeit mit den Töchtern eines katholischen Apothekerpaars, das sich geweigert hat, die neue Pille zu verteilen, den Mädchen aber erlaubte, mit uns in den Osterferien nach Rom zu fahren, sofern wir dort in einem Kloster Quartier beziehen würden. Und so wohnten wir mit zwei weniger frommen Schwestern bei den ganz frommen Schwestern auf dem Gianicolo, Via Fratelli Bandiera dodici, und tauschten des Nachts, internatsgeschult, hinter dem Rücken der betenden Nonnen, die Kammern. Die Betten waren schmal, die Räume waren kalt, unsere Erfahrungen beschränkten sich auf Bücher und Berichte; die befleckten Laken versuchten wir eigenhändig zu waschen und brachten sie später, noch nass und in unsere Mäntel geschlagen, zu einer Wäscherei, wo man sie nicht annehmen wollte. Daraufhin kauften wir neue Laken, die aber den Klosterlaken nicht glichen, und nannten es den Nonnen gegenüber eine Spende, il dono . Wir dachten, damit seien alle Probleme erledigt, nur fingen sie ein paar Wochen später erst an, und unsere Bergbesteigung Nummer eins fand dann in der Ebene statt: als Canossafahrt zu dem Apothekerpaar, um die Schwangerschaft einer der Töchter zu gestehen, als hätten wir sie gemeinsam verursacht.
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