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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Nacht ist es besonders schlimm, dazu noch ohne jede Möglichkeit, M. davon zu erzählen. Seit unserer räumlichen Trennung, jeder noch das Leben vor sich, gab es mehr Telefonate als Begegnungen, aber nicht sehr viel mehr. Es konnte auch vorkommen, dass wir ein Jahr nichts voneinander hörten, bis völlig unerwartet ein Anruf kam. Zwischen Berlin und Frankfurt lagen Welten, die Welten zwischen dem Schlaflosen eines gewollten Exils und dem Wachhaltenden eines Schreiblebens mit Familie im Hintergrund; und für M.s Gefährtin blieb der Frankfurter Freund ein Phantom, dem sie die Todesnachricht, weil sie ihn anders nicht erreicht hatte, auf die Mailbox sprach.
    Schon das weiße Papier blendet, die Augen lassen den Benutzer zusehends im Stich. Als Spätfolge der Netzhautablösung ergab sich, um Jahre verfrüht, ein grauer Star, und der Eingriff (Katarakt-Operation) war nicht das versprochene Kinderspiel. Das Gewebe erwies sich als sehr weich, der Linsensack wurde schließlich mit einer gewissen Ungeduld, da andere vor der OP-Schleuse bereits auf den Eingriff warteten, herausgerissen, ausländische Schwestern – Korea, Balkan, lebensfrohe Stimmen – gaben der Operateurin Empfehlungen für das Annähen der Kunstlinse, und eine Anästhesistin spritzte ein so beruhigendes Mittel, dass es schon wieder beunruhigend war. Ein grünlicher Raum voller Frauen, alle bemüht um das Augenlicht des abgedeckten männlichen Patienten. Und das vorläufige Resultat: einer, der nicht mehr vor dem Bildschirm arbeiten kann. Daher der Rückgriff auf die Handschrift und ein Notizbuch, wie sonst nur beim Unterwegssein, erstmals erprobt auf einer der wenigen Reisen mit M. – mehr waren es nur in Träumen, da haben wir alle möglichen Orte besucht, Pamplona, wenn sie dort die Stiere loslassen, oder Segesta, wo wir allein zwischen den Säulen saßen, um uns die verbrannte Erde Siziliens; wir waren auf dem Ätna und sind durch Tanger gelaufen, wir haben in Bolivien Che Guevara gesehen, in Träumen, die nach M.s Tod einfach ausblieben.
    Und eine der wenigen Reisen, die nichts mit meinem Schlaf zu tun hatten, verdient diesen Namen eigentlich gar nicht und war doch eine Reise, als hätten wir unerforschte Regionen durchquert. Nach dem Abitur verbrachten wir im Spätsommer achtundsechzig einen Monat auf Teneriffa und unternahmen in dieser Zeit auch eine wirkliche Bergbesteigung, nämlich die des Pico del Teide, der sogar dem unerschrockenen Humboldt einiges abverlangt hatte. Fast ohne Proviant waren wir in leichtester Kleidung und nur mit Turnschuhen an den Füßen in Höhe der Lavafelder aufgebrochen und hatten uns, nach kurzer Rast in einer Hütte, morgens um drei bei Dunkelheit und Kälte einer spanischen Gruppe angeschlossen. Wir stolperten mehr bergauf, als dass wir gingen oder gar marschierten, bald abgeschlagen von den Spaniern, immer nur einem gewaltigen schwarzen Dreieck im Meer der Sterne entgegen, der Bergkuppe. Wir verfluchten einander und stießen uns gegenseitig Meter für Meter vorwärts, jeder sah im anderen den Anstifter zu diesem Ausflug, den wir dennoch zusammen bestehen wollten. Die letzten zweihundert Höhenmeter, einen Sandkegel hinauf, haben wir uns gegenseitig gezogen, in eisiger und schon etwas dünner Luft, und schließlich hat M. den Sonnenaufgang über dem Meer fotografiert, und wir rauchten noch eine (nur physikalisch waren es zwei), bevor es wieder hinunter ging, ein schweigsamer Abstieg. Erst abends im Hotelzimmer machte er mir eine Szene, weil ihm alles wehtat und die Nase lief, und ich konterte mit Husten und Schüttelfrost und gab die Vorwürfe zurück, worauf wir zwei ganze Tage im Bett verbrachten, jeder mit seinen Büchern, ohne ein Wort zu reden. »Wir schweigen mal wieder«, steht im Notizbuch dieser Reise unter dem Datum achter September. »Er liest seinen Trotzki und ein Buch von Jünger, Afrikanische Spiele , und unterstreicht dauernd was, ich lese meinen Genet, Tagebuch eines Diebes . Sein Schnupfen ist längst in Ordnung, aber er bleibt im Bett, raucht und blättert und sagt kein Wort.« Und der zehnte September beginnt mit den Sätzen: »Blauer Himmel, und schon beim Frühstück nähern sich zwei Pfauen. M. nennt den schöneren Marcello und fordert mich auf, dem anderen auch einen Namen zu geben, und ich nenne ihn James. Wir reden wieder.« Unser Hotel hieß Taoro und lag in einem Park mit exotischen Tieren, ein feines altes Haus, längst abgerissen. M.s wohlhabender Vater hatte die Reise für zwei Personen
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