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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn
Autoren: Oliver Hassencamp
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Rituals, der Opferblock. Feucht, dezent blutverschmiert, Krümel am Rande, fettiges Tranchierbesteck, Umladeplatz von Vergänglichem in Vergängliche. Bereits Vergangenheit.
    Ein ausgebeutetes Büfett als Äußerstes an Veränderung, Collage der Spätkultur, perlengeschmückt. Aus der Tube getupfte Mayonnaiseperlen, vom langen Aufenthalt in rauchiger Luft an der Oberseite deutlich dunkler gefärbt, wie Altersflecken auf heller Haut. Sie zierten alles.
    »Hast du denn genug?« fragte Lilly.
    Aus dem Arsenal faßte Lukas zwei goldene Handwaffen:
    »Wenn ich jetzt noch in Ruhe essen kann — ja.«
    Er ging zur Bücherwand, setzte sich auf die Trittleiter für zu hoch gestapelte Literatur, suchte mit dem rechten Fuß eine der untersten Stufen, bis sein Oberschenkel eine Ebene bildete, auf die er den Teller stellen konnte.
    Es schmeckte nach kleiner Serie, nach Markenartikeln der Nobelklasse; aufwendiger als bei Daniela, die auf mehrere Smokings einredete, gestikulierte wie bei den Junglehrern, und Grundsätzliches mit der Abendtasche unterstrich. Sie paßte nicht in die Dekoration; ebensowenig Keiti, trotz angepaßten Aufzugs (dunkelblau mit Silberkrawatte). auch er redete auf mehrere ein, die seine Herkunft offensichtlich als Geländer benutzten, um seinen Thesen folgen zu können. Er sah Lukas sitzen und kam bald darauf herüber.
    »Wie ist das, wenn man nach vielen Jahren wieder dabei ist?«
    Lukas zog die Schultern hoch.
    »Wie vor vielen, vielen Jahren. Sind Sie immer >dabei    »Ich versuche mit altem Namen neue Ansichten...«
    Daniela kam dazwischen.
    »Ich hab Sie neulich im Fernsehen gesehen, Graf. In der Diskussion. Der einzige, der sachlich blieb, waren Sie.«
    Sie diskutierten über die Diskussion. Lukas war nicht mehr dabei, stand nur da. Er hatte die Sendung nicht gesehen. Gäste gesellten sich zu ihnen, hörten zu, andächtig und ein wenig ratlos darüber, daß man so viel eigene Meinung haben kann und sie auch noch äußert. Manche, die ferngesehen hatten, nickten wie Marionetten. Lilly redete im Eßzimmer mit Gästen. Das war der richtige Moment. Draußen im weiß-grünen Entrée traf er auf Alfredo, der ihm seine großen Hände entgegenstreckte.
    »Ich möchte Ihnen nochmals danken für Ihre Mühe und...«
    Willig ließ sich Alfredo unterbrechen, nickte zu Selbstverständlichkeit, Müdigkeit und Grüße an Ihre Frau; bei Taxi schüttelte er den Kopf.
    »Warten Sie, Petersens können Sie mitnehmen. Die gehen auch unauffällig.«
    Und so kam er zum ersten Mal in den Genuß, in einem Mercedes 600 gefahren zu werden.

Abreise
    Wenn Lukas früh aufstehen mußte, schlief er besonders schlecht. Das hing mit seinem Beruf zusammen und mit seiner Faulheit: er kam zu selten in die Lage. Um das Wecken nicht als Störung empfinden zu müssen, versuchte er es zu unterlaufen, blieb lieber wach, beziehungsweise er wachte lange vor der festgesetzten Weckzeit an seinem inneren Wecker auf. Da er wach war, konnte er, statt sich zu ärgern, erfreut feststellen, wie auf die Minute pünktlich ihn der Weckruf heute erreichte. Seine Bemerkung, die Telefonzentrale habe damit alles wieder gutgemacht, stand schon bereit und wurde nur von der Stimme aus dem Hörer zurückgehalten, die undienstlich klang, nach privatem Bedauern, nicht nach Weckauftrag: »Entschuldige, daß ich schon anrufe. Ich kann dich nicht zum Flughafen bringen, Lukas. Der Kunde hat mich eben geweckt; ich muß noch mal mit ihm rausfahren. Da läuft irgendwas schief.«
    Viel zu übermüdet, um nicht alles einzusehen, nicht mit allem einverstanden zu sein, war’s ihm im Grunde recht, daß es nicht klappte. Er hielt nichts von Begleitung zur Bahn, zum Flughafen; man sagt einander nichts mehr, wenn die innere Abreise schon vollzogen ist.
    »Sehr lieb, daß du so reagierst, Mit dir gibt es nie Komplikationen!« sagte sie.
    »Ich ruf’ dich heute abend an, wenn ich zu Hause bin«, versprach er; Renate freute sich darüber, und er freute sich, gähnte, streckte sich, rieb die Augen, sang und verabschiedete das Tanfani-Büfett, das ihm schwer im Magen gelegen hatte, noch bevor er unter die Dusche trat, um sich wachzufrösteln. Da klingelte das Telefon. Der Weckerin vom Dienst mußte ein Gast einmal gesagt haben, ihre Stimme klinge sexy. Mit gedrücktem Damenbariton nannte sie die Uhrzeit (die nicht stimmte), als verkünde sie die Stunde der Sünde. Im Frühstückssaal saßen Männchen in bügelfreien Hemden, mit Krawattenklammern und zuversichtlichen
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